Zwangsarbeit im Dritten Reich

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LIPUS Rudolf: Häftlinge des Konzentrationslagers Ravensbrück, die bei Siemens zur Arbeit gezwungen wurden

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Zwangsarbeit im Dritten Reich

"Wir dagegen sind alle nur hier, um zu sterben. Das ist das Ziel, das die SS für uns gewählt hat. Sie hat uns weder erschossen noch aufgehängt, doch jeder von uns muss, nachdem ihm rationell das Essen entzogen worden ist, in einer variablen Zeit zum vorgesehenen Toten werden. Das einzige Ziel eines jeden Einzelnen ist es also, sich daran zu hindern zu sterben. Das Brot, das wir essen, ist gut, weil wir Hunger haben, doch wenn es auch den Hunger stillt, so wissen und spüren wir doch, dass sich mit ihm das Leben im Körper wehrt. Die Kälte ist schmerzhaft, aber die SS will, dass wir vor Kälte sterben, wir müssen uns gegen die Kälte schützen, denn in der Kälte lauert der Tod. Die Arbeit ist ermüdend – und für uns absurd –, aber sie verbraucht und nützt ab, und die SS will, dass wir durch die Arbeit sterben; daher müssen wir uns bei der Arbeit schonen, weil auch da der Tod drin lauert. Und dann ist da noch die Zeit: Die SS meint, wenn wir nichts zu essen bekommen und arbeiten müssen, werden wir am Ende sterben; die SS meint, dass sie uns durch die Müdigkeit besiegen wird, das heißt durch die Zeit, und der Tod lauert in der Zeit." 

Auszug aus von dem "Menschengeschlecht" von Robert Antelme, Gallimard Paris 1957, hier S.57 im Deutscher Taschenbuch Verlag München 1990

Kurze Einleitung zum Thema

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Heutige Definition des Begriffs "Zwangsarbeit"

"For the purposes of this Convention the term forced or compulsory labour shall mean all work or service which is exacted from any person under the menace of any penalty and for which the said person has not offered himself voluntarily." (ILO C029, Art.2 s.1) 

"Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit" (…) gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat." (ILO C029, Artikel 2 Abs. 1)

https://normlex.ilo.org/dyn/nrmlx_en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_ILO_CODE:C029

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Kurzer Ăśberblick ĂĽber den deutschen politischen Kontext, der die MachtĂĽbertragung durch die Nazis favorisiert hat

Als Hitler am 30. Januar 1933 von Präsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wird, befindet sich die deutsche Politik in einer Krise: seit zweieinhalb Jahren regieren die Reichskanzler nur noch durch vom Präsidenten vorab unterzeichnete „Notsverordnungen“, da sie sich nicht mehr auf eine Legitimität durch das Volk und den Gesetzgeber stützen können, die seit Juli 1932 immer weiter schwindet, bis sie schließlich ganz verschwindet. Dies wird als „Präsidialdiktatur” bezeichnet, da die Ausübung der Macht und die Legitimität der Reichskanzler nicht mehr vom Reichstag, sondern vom Reichspräsidenten ausgeht. Zeitgleich mit dieser autoritären Wende der Republik erzielt die NSDAP eine Reihe von Wahlerfolgen bis zu den Reichstagswahlen im Juli 1932, bei denen sie 37,3 % der Stimmen und 230 Sitze im Reichstag gewinnt. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Glasdecke, die sie nicht mehr durchbrechen können. Nach einer Stagnationsphase fallen sie bei den Wahlen im November 1932 stark zurück und verlieren 4 % der Stimmen und 34 Sitze. Das politische Klima bleibt jedoch äußerst angespannt, mit täglichen Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und Nazis. Schließlich scheitert Reichskanzler Kurt von Schleicher mit dem Versuch, eine „Querfront” zu bilden, die die NSDAP spalten sollte, und verliert das Vertrauen Hindenburgs. Er tritt am 28. Januar zurück, und Hitler wird am 30. Januar Reichskanzler, obwohl der Reichsmarschall nicht verpflichtet war, ihn zu nominieren.

In der Folge, insbesondere nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar, bündeln die Nazis die Macht, verfolgen ihre politischen Gegner zunächst auf der linken Seite, dann über das gesamte politische Spektrum hinweg und gehen gegen alle vor, die sie als „unerwünscht” betrachteten, während ihre Diktatur immer totalitärer wird.

Hitlers Aufstieg zur Macht | Terra X
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Hitlers Aufstieg zur Macht von Terra X History, veröffentlicht am 15.01.2023, geschaut am 20.07.2025
Errichtung der NS-Diktatur I Nationalsozialismus I musstewissen Geschichte
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Errichtung der NS-Diktatur I Nationalsozialismus I musstewissen Geschichte von MrWissen2go Geschichte | Terra X, veröffentlicht am 14.06.2018, geschaut am 20.07.2025
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Kurzer Überblick über den deutschen ökonomischen Kontext bei der Machtübertragung durch die Nazis

Seit dem Börsencrash im Oktober 1929 in New York und seinen Konsequenzen, die fast alle Länder der Welt erfassen, befindet sich die Weimarer Republik in einer äußerst schweren Wirtschaftskrise. Zum ersten Mal sind mehrere Millionen Menschen von Arbeitslosigkeit und prekären Lebensumständen betroffen. Bereits 1929 gibt es ungefähr 1,9 Millionen Arbeitslose, im folgenden Jahr sind es 3 Millionen, während die Zahl im Laufe des Jahres 1932 auf 5,6 Millionen ansteigt. Zum Vergleich: auf dem Höhepunkt der Hyperinflation, der bis dahin schwersten Wirtschaftskrise der Weimarer Republik, gab es „nur” 750.000 Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote ist mit über 30 % erschreckend hoch. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass in bestimmten Stadtteilen von Wuppertal bis zu 80 % der erwerbstätigen Bevölkerung betroffen sind. Darüber hinaus wird die Krise durch die Sparpolitik der aufeinanderfolgenden Regierungen verschärft, da keine Konjunkturbelebung in Gang kommt. Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, beginnt sich die Arbeitswelt gerade erst mit zaghaften, aber ermutigenden Zahlen zu erholen.

Schließlich wird es schwierig, diese verschiedenen Zahlen wirklich einzuschätzen, wie die Grafik zeigt. Es ist jedoch bekannt, dass die Arbeitslosigkeit in Nazideutschland allmählich verschwindet. Dieser Rückgang ist zum Teil auf eine Konjunkturpolitik zurückzuführen, die sich auf Großprojekte stützt, aber auch und vor allem einen antisozialen Aspekt hat: von Anfang an stützt sich das NS-Regime auf Zwangsarbeiter, die vor allem aus den Reihen der „Asozialen” wie Kommunisten, Sozialisten, Homosexuellen, Kriminellen oder... Arbeitslosen „rekrutiert“ werden.

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§ GFDL

Die Arbeitslosenquote in Deutschland (1887–1975, in %)

Quelle: Detlev J. K. Peukert, The Weimar Republic. The Crisis of Classical Modernity, New York, Hill and Wang, 1989, S. 118.

Gefunden in Chapoutot Johann, Ingrao Christian & Patin NIcolas, Le Monde nazi (1919-1945), Paris, Tallandier, 2024, S. 132

Die Zwangsarbeit in einem 3. Reich in Friedenszeit (1933-1939)

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Die Zwangsarbeit 1933-1939

Sobald die Nazis an die Macht kommen, wird vor allem ab 1934 eine Politik der Zwangsarbeit eingeführt. Diese betrifft zunächst alle, die als politische oder ideologische Gegner gelten, sowie alle, die die Nazis als „asozial” oder ihnen rassisch unterlegen betrachten. Es handelt sich also um Kommunisten, Sozialdemokraten, Strafgefangene, Homosexuelle, Arbeitslose, Sinti und Roma, Juden (insbesondere nach den Novemberpogromen) oder Tagelöhner (vor allem nach 1937), die zu Zwangsarbeitern gemacht werden. Sie werden gezwungen, Lager zu bauen, zu unterhalten und an der lokalen Wirtschaft „teilzunehmen". Diese Politik wird umgesetzt, während sich die Konzentrations- und Arbeitslager im ganzen Land mehren. So ist beispielsweise das 1938 eröffnete Lager Mauthausen in erster Linie ein Steinbruch, in dem die Häftlinge arbeiten. Gleichzeitig werden Einrichtungen wie die Diakonie Herzogsägsmühle ebenfalls zu Zwangsarbeitsanstalten, da Wanderarbeiter und Tagelöhner dort eingesperrt und unter Androhung der Deportation in Konzentrationslager zur Arbeit gezwungen werden. Während des Anschlusses und der Invasion des Sudetenlandes sowie der vollständigen Auflösung der Tschechoslowakei werden die repressiven Maßnahmen auf die neuen Gebiete ausgeweitet: neue Lager werden errichtet (allen voran Mauthausen in Österreich) und alle von den Nazis als Oppositionelle, Asoziale usw. angesehene, werden ihrerseits interniert und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Es ist jedoch wichtig, einen Aspekt im Auge zu behalten: auch wenn die Lebensbedingungen in diesen Lagern bereits absolut grausam und unmenschlich sind und sie sich jeglicher rechtlichen Grundlage entziehen, besteht das Ziel der Zwangsarbeit und dieser Lager noch nicht darin, die Gefangenen zu töten. Das Nazi-Regime sperrt seine Gegner und „Unerwünschten” ein, aber viele dieser Häftlinge kommen nach einer gewissen Zeit wieder frei, da die Machthaber Terror unter potenziellen Gegnern verbreiten wollen, indem sie die Opfer in ihrem Umfeld darüber berichten lassen.

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Das Beispiel Herzogsägsmühle: die Zwangsarbeit auf dem Land

https://www.herzogsaegmuehle.de/zum-dorf/geschichte/geschichte-langfassung

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https://hmd.org.uk/resource/22-march-1933-dachau-concentration-camp-established/

Das Beispiel des KZ Dachau: die Zwangsarbeit als Strafe

https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/historischer-ort/kz-dachau-1933-1945/

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Aufgabe 1: Frage und Zusammenfassung der Ersten Teil

Öffnen Sie die Webseiten und lesen Sie die Texte über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager Dachau und in der Diakonie Herzogäsmühle.

1. Teilen Sie anhand der beiden Dokumente die Informationen, die Ihnen wichtig erscheinen, mit dem Rest der Gruppe.

2. Welche Parallelen lassen sich zwischen den beiden Orten ziehen? Welche Unterschiede gibt es?

3. Erstellen Sie anhand Ihres Wissens und der verschiedenen Texte und Materialien, die Ihnen zur Verfügung stehen, eine Mindmap, um die wichtigsten Punkte der Zwangsarbeit im Zeitraum 1933-1939 zusammenzufassen.

Die Zwangsarbeit während dem 2. Weltkrieg (1939-1945)

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Änderung in der Zwangsarbeit mit dem Krieg

Mit dem Einmarsch in Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs verändert sich das Ziel und — man könnte fast sagen — „das Wesen” der Zwangsarbeit. Während die Zwangsarbeit bis dahin für alle diejenigen bestimmt war, die das NS-Regime als Gegner und unerwünschte Personen betrachtet, aber an sich keinen vorrangigen Platz in der Wirtschaft einnimmt, werden Zwangsarbeit und Sklavenarbeit mit dem fortschreitendem Krieg zu wesentlichen Bestandteilen der deutschen Kriegswirtschaft. Im Laufe des Konflikts, unter anderem ab März 1942, steigt die Zahl der Sklaven immer weiter an: insgesamt schätzen Historiker die Zahl der Zwangsarbeiter auf etwa 15 Millionen, von denen die meisten für die größten deutschen Unternehmen wie Bosch, IG Farben, Krupp, Henschel, Junkers, Messerschmitt, Siemens oder Volkswagen arbeiten. Diese Zwangsarbeiter kommen aus unterschiedlichen Bereichen, darunter Kriegsgefangene aus den europäischen Feldzügen, von den Besatzungsmächten requirierte ausländische Zivilisten oder verschiedene Bevölkerungsgruppen, die bereits in Friedenszeiten von den Nazis verfolgt wurden. Auch die Konzentrationslager verändern sich: die Häftlinge sind nicht mehr nur am Bau des Lagers beteiligt, sondern werden meist in Außenlager geschickt, wo sie zur Arbeit gezwungen werden, um die steigende Zahl deutscher Arbeiter zu ersetzen, die nun an den verschiedenen Fronten kämpfen müssen. Diese unterworfenen Arbeitskräfte arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen, und viele sterben an Erschöpfung, Hunger, Krankheit oder Misshandlung. Man spricht sogar von einem Vernichtungsprogramm durch Arbeit.

Wenn man einen Schritt zurücktritt, ergibt sich eine fast ironische Situation, wie uns die französischen Historiker Ingrao, Patin und Chapoutot in ihrem Buch „Le Monde nazi 1919-1945” zeigen: während das Reich „rassisch rein” sein will, strömen immer mehr Ausländer gegen ihren Willen ins Reich. Zeugenaussagen zufolge hörte man in Berlin mehr Russisch als Deutsch, während allein in der Hauptstadt mehr als 400.000 ausländische Arbeiter lebten.

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Aufgabe 2: Die hohen Nazi-Verantwortlichen fĂĽr Zwangsarbeit

1. Lesen Sie sich die verschiedenen Texte über die drei Hauptverantwortlichen der Zwangsarbeit während des Krieges.

2. Ordnen Sie danach die Namen ihren Titeln zu. 

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Ein Beispiel der menschenrechtsverletzeden Politik der Zwangsarbeit: der französische STO ("Service de travail obligatoire“, obligatorischer Arbeitsdienst)

Der STO („Service de travail obligatoire“, obligatorischer Arbeitsdienst) ist eine Politik, die 1943 vom französischen Staat auf Verlangen des Nazi-Regimes eingeführt wird. Die Zwangsarbeiter sind überwiegend junge Menschen, die vom französischen Staat gezwungen werden, nach Deutschland zu gehen — teils nach Razzien. Es handelt sich also um eine französische Besonderheit: es ist die französische Vichy-Regierung, die Deutschland freiwillig Zwangsarbeiter zur Verfügung stellt. Insgesamt werden etwa 600.000 von ihnen in die Fabriken verschiedener großer deutscher Konzerne geschickt, zu denen noch mehr als eine Million Kriegsgefangene aus dem Feldzug von 1939-1940 hinzukommen. Diese Opfer des STO werden im Vergleich zu anderen Kriegsopfern lange Zeit vergessen. Dieses Vergessen ist auch das Ergebnis einer Kritik der französischen Gesellschaft ihnen gegenüber, denn während sich 600.000 dem STO „unterwarfen”, schließen sich viele STO-Verweigerer der Résistance an.

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Das Beispiel einer grosser Firma, die direkt von der Zwangsarbeit und von dem NS-Diktatur profitiert hat: die Volklinger HĂĽtte in Saarland

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Aufgabe 3: Frage zur Zweiten Teil und globale Zusammenfassung zur Thema

1. Beschreiben Sie die beiden Propagandaplakate. Was haben sie gemeinsam, worin unterscheiden sie sich? Was ist Ihrer Meinung nach das Ziel des Autors?

2. Erstellen Sie einen umfassenderen Vergleich zwischen den beiden „Zeiträumen“ hinsichtlich der Ziele und Bedingungen der Zwangsarbeit. Welche Entwicklungen und Veränderungen gibt es? In welcher Logik steht die Zwangsarbeit für die Nazi-Würdenträger während des Krieges?

3. Erstellen Sie schlieĂźlich anhand des Mediums Ihrer Wahl und sowohl auf der Grundlage Ihres persönlichen Wissens als auch der heute vermittelten Informationen eine Zusammenfassung zum Thema. Welche EindrĂĽcke haben Sie aus dem Gelernten mitgenommen? Â