Mangelnde Aufarbeitung

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Im Nürnberger Ärzteprozess vom Dezember 1946 bis August 1947 wurden 20 KZ-Ärzte, ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute vor dem US-Militärgericht in Nürnberg angeklagt. Es kam zu Todes- und Hafturteilen. Im Bild ist der Angeklagte Karl Brandt im Nürnberger Ärzteprozess zu sehen. (Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Karl-Brandt.jpg)

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Im Nürnberger Ärzteprozess vom Dezember 1946 bis August 1947 wurden 20 KZ-Ärzte, ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute vor dem US-Militärgericht in Nürnberg angeklagt. Es kam zu Todes- und Hafturteilen. Im Bild ist der Angeklagte Karl Brandt im Nürnberger Ärzteprozess zu sehen. (Quelle: commons.wikimedia.org/wiki/File:Karl-Brandt.jpg)

Mangelnde Aufarbeitung

Die Strafverfolgung von NS-Medizinverbrechen in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945-1954)

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trieben die Alliierten in allen vier Besatzungszonen die Strafverfolgung der NS-Medizinverbrechen voran. Den Anfang bildete der Hadamar-Prozess in Wiesbaden, bei dem die Krankenmorde in der Anstalt Hadamar erstmals juristisch aufgearbeitet wurden. Im Nürnberger Ärzteprozess wurden die NS-Medizinverbrechen im Allgemeinen, insbesondere die grausamen Menschenversuche in Vernichtungslagern, der deutschen und der Weltöffentlichkeit offengelegt. Nachdem die Hauptverantwortlichen anfänglich zu Todes- und lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, setzte jedoch ab 1949 eine Abmilderung ein, die 1954 in ein Amnestiegesetz mündete.

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Die Hadamar-Prozesse

Der Hadamar-Prozess fand in zwei Phasen statt: Zunächst wurde in Wiesbaden 1945 durch ein US-Militärtribunal die Ermordung von 476 Zwangsarbeitern aus vor Allem der Sowjetunion und Polen geahndet; 1947 wurde nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main die Ermordung von fast 15.000 Deutschen in einem Strafprozess beim Landgericht Frankfurt juristisch aufgearbeitet.

Anklage vor einem US-Militärtribunal: Wiesbadener Hadamar-Prozess 1945

Im Oktober 1945 wurden im Prozess United States of America v. Alfons Klein et al. vor einem US-Militärtribunal in Wiesbaden die Verantwortlichen der Anstalt Hadamar wegen der systematischen Ermordung der Eingelieferten durch Vergasung (Aktion T4 1941) und Verabreichung von Giftspritzen (1942-1945) und Verschleierung dieses Verbrechens angeklagt. Da zu den fast 15.000 deutschen Mordopfern noch 476 angeblich an Tuberkulose gestorbenen ausländischen Zwangsarbeiter hinzukamen, konnten die amerikanischen Ankläger nach dem Völkerrecht den Verantwortlichen den Prozess machen.

Unter Anderem wurde dem Anstaltsleiter Alfons Klein, dem Anstaltsarzt Adolf Wahlmann, der Oberschwester Irmgard Huber, den Pflegern Heinrich Ruoff und Karl Willig, dem Angestellten Adolf Merkle und dem Friedhofsverwalter Philipp Blum der Prozess gemacht. Die Anklage von Colonel Leon Jaworski geführte Anklage beschrieb die Anstalt Hadamar als eine mit einer "Produktionslinie des Todes" durchorganisierte "Mordfabrik".

Da die Anklage und das Tribunal nur über die Ermordung der 476 Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion Jurisdiktion hatte, lag der Schwerpunkt auf dem Zeitraum von 1942 bis 1945, in dem die Ermordung hauptsächlich mittels Giftspritzen stattfand. Die Autopsie der exhumierten Opfer hatte ergeben, dass mindestens sechs von ihnen weder an Tuberkulose litten noch daran starben. Ferner standen in der Anstalt Hadamar keine Geräte und Medikamente zur Behandlung von Tuberkulose zur Verfügung.

Anstaltsleiter Klein und die beiden Pfleger wurden wegen des Auftrags und der Ausführung der Morde zum Tode verurteilt und am 14. März 1945 gehängt. Wahlmann als verantwortlicher Chefarzt wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Merkle wurde wegen der Fälschung der Todesumstände in Sterberegistern und Kondolenzbriefen zu 35 Jahren Haft verurteilt, aber im März 1950 entlassen. Blum wurde zu 30 Jahren Haft verurteilt, kam aber im Februar 1954 frei. Huber wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Fortsetzung vor einem deutschen Gericht: Frankfurter Hadamar-Prozess 1947

In der Folge des Wiesbadener Hadamar-Prozesses beauftragte das hessische Justizministerium die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen zu den NS-"Euthanasie"-Morden an deutschen Staatsangehörigen. 1947 wurden schließlich Anstaltsarzt Adolf Wahlmann und Oberschwester Irmgard Huber sowie der Anstaltsarzt Hans Bodo Gorgaß und weitere neun Pfleger und Pflegerinnen sowie zehn Büroangestellte und zwei technische Angestellte wegen der Morde an Deutschen sowohl in der "Aktion T4" 1941 als auch in den Folgejahren bis 1945 vor dem Landgericht Frankfurt am Main angeklagt. Das Gericht verurteilte Gorgaß und Wahlmann zum Tode und entzog ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte. Im Revisionsverfahren bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt das Todesurteil gegen Gorgaß, stellte bei Wahlmann aber Anstiftung zum Mord fest. Die Todesurteile wurden nicht vollstreckt und nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zu lebenslanger Freiheitsstrafe umgewandelt und für Gorgaß 1956 auf 15 Jahre reduziert. Wahlmann wurde im Oktober 1953 vorzeitig entlassen, Gorgaß wurde aufgrund einer Begnadigung durch den hessischen Ministerpräsidenten im Januar 1958 entlassen. Huber wurde wegen Beihilfe zum Mord zu weiteren 8 Jahren Haft verurteilt aber im Juli 1953 entlassen. Acht Pflegerinnen und Pfleger zu von 2 Jahren und 6 Monaten bis 4 Jahren und 6 Monaten rangierenden Haftstrafen. Eine Pflegerin, die Büroangestellten und die technischen Angestellten wurden freigesprochen, dem Büropersonal fehlendes Unrechtsbewusstsein und fehlende Kenntnis über die Reichweite ihres Handelns.

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Der Nürnberger Ärzteprozess

Im Zeitraum vom 9. Dezember 1946 bis 20. August 1947 fand im Nürnberger Justizpalast vor einem US-amerikanischen Militärtribunal der "Nürnberger Ärzteprozess" United States v. Karl Brandt et al. statt. Dieser Prozess war nach dem "Nürnberger Prozess" gegen die Hauptkriegsverbrecher der erste der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, die gegen Verantwortliche des NS-Regimes aus SS, Militär, Ministerialbürokratie, Industrie, Medizin und Juristerei geführt wurden.

Die Anklage führten Brigadegeneral Telford Taylor und James McHaney. Dem Gericht saß der Präsident des Obersten Gerichtes des Staates Washington Walter B. Beals vor. Ihm beigeordnet waren Harold L. Sebring, Richter am Obersten Gericht des Staates Florida, und Johnson T. Crawford, Richter eines Appellationsgerichts im Staat Oklahoma. Victor C. Swearingen, Assistent des US-Justizministers und Generalbundesanwalts, diente als Ersatzrichter.

Die am 25. Oktober 1946 vorgelegte Anklageschrift erfasste vier Hauptanklagepunkte: 1) Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 2) Kriegsverbrechen gegen feindliche Zivilisten und Kombatanten, 3) Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Angehörige von Nichtfeindstaaten und Deutsche und 4) Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation (SS)

Die konkreten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren allesamt Medizinverbrechen, die in drei Gruppen eingeteilt werden konnten:

  • Menschenversuche
    Unterdruck-, Unterkühlungs- und Meerwasserversuche;
    Fleckfieber-Impfstoffversuche; 
    Sulfonamid-, Knochentransplatations- und Phlemonversuche; 
    Lost- und Phosgenversuche
  • NS-"Euthanasie"
  • Verwendung der Leichen jüdischer Opfer für eine Skelettsammlung der "Reichsuniversität Straßburger"

Bereits im Dachau-Prozess wurden mehrere Ärzte verurteilt. Während des Hauptkriegsverbrecherprozesses wurden 14 der im Ärzteprozess Angeklagten namentlich verantwortlich gemacht. Wenn sie nicht bereits gestorben waren, hatten sich viele NS-Ärzte der Justiz entzogen: Die Einen, wie beispielsweise Josef Mengele, tauchten unter, die Anderen begingen Selbstmord.

Angeklagt wurden schließlich 20 Ärzte, ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute. Prominentester Angeklagter war Karl Brandt, der als Hitlers Leibarzt eine äußerst wichtige Rolle bei der Organisation der NS-"Euthanasie"-Morde innehatte. Ferner war Brandt SS-Funktionär sowie gleichzeitig als Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen und als Generalkommissar für Kampfstoffe zuständig. Neben ihm ist auch der Parteifunktionär und Chef der "T4"-Organisation Viktor Brack zu nennen, ebenfalls SS-Funktionär und maßgeblich sowohl für die NS-"Euthanasie"-Morde als auch für die "Experimente" genannten Medizinverbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern verantwortlich. Wolfram Sievers, der Geschäftsführer der SS-Organisation "Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe", gehörte ebenfalls zu den Angeklagten: Sievers ließ über seinen Persönlichen Referenten Wolf-Dietrich Wolff Senfgas für tödliche Giftgasversuche sowie Blausäure zur Ermordung und Entfleischungsmaschinen zur Bearbeitung der Mordopfer und zum Aufbau der "Straßburger Skelett- und Schädelsammlung" besorgen. Das der SS angegliederte "Ahnenerbe" war an Menschenversuchen in Konzentrationslagern beteiligt und betrieb beispielsweise im KZ Dachau ein "Entomologisches Institut". Der Chirurg und SS-Sturmbannführer der Waffen-SS Fritz Fischer und Herta Oberheuser unternahmen im KZ Ravensbrück Menschenversuche mit Suolfonamiden. Der Stabsarzt der Luftwaffe Hermann Becker-Freiseng war als Luftfahrtmediziner für Unterdruck-, Unterkühlungs- und Meerwasserversuche verantwortlich. Wilhelm Beiglböck war für die Meerwasserversuche im KZ Dachau verantwortlich. SS-Oberführer Helmut Poppendick war Chef des Persönlichen Stabs des Reichsarztes SS und Polizei und leitender Arzt im SS-Rasse- und Siedlungsamt.

Während Karl Brandt bekannte sich auch im Prozess klar zur NS-Ideologie und sah darin die Medizinverbrechen für gerechtfertigt. Währenddessen beriefen sich die anderen Angeklagten auf einen "Befehlsnotstand" oder versuchten, ihre Verantwortlichkeiten zu relativieren. Das Gericht hielt Brandt und den anderen angeklagten Ärzten ihre ethisch-moralischen ärztlichen Pflichten vor. Insbesondere Brandt habe seine Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen und habe somit die Medizinverbrechen ermöglicht.

Karl Brandt, Brack, Sievers und vier andere wurden zum Tod durch den Strang verurteilt und am 2. Juni 1948 hingerichtet. Fünf Angeklagte wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch wurde ihre Haftzeit am 31. Januar 1951 durch US-Hochkommissar McCloy auf 20 Jahre, im Fall von Fischer sogar auf 10 Jahre, herabgesetzt. Becker-Freyseng und Oberheuser wurden zu 20 Jahren Haft verurteilt, Beiglböck zu 15 Jahren und Poppendick zu 10 Jahren verurteilt. Die Haftzeiten von Becker-Freyseng, Oberheuser und Beiglböck wurden am 31. Januar 1951 auf 10 Jahre reduziert und Poppendick aus der Haft entlassen. Im Zeitraum von 1951 bis 1955 wurden sämtliche noch inhaftierte Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen.

Nach der Haftentlassung wurden für viele der Verurteilten Rehabilitationsversuche unternommen. Im Folgenden seien drei Beispiele genannt.

Herta Oberheuser wurde aufgrund von Protesten ehemaliger Insassinnen des KZ Ravensbrück und der Aufmerksamkeit internationaler Presse 1958 die Approbation entzogen und im Dezember 1960 wurde ihre Anfechtungsklage abgewiesen. Sie starb 1978. Helmut Poppendick arbeitete nach der Haftentlassung als Internist mit Kassenzulassung ab 1957 und starb 1994. Fritz Fischer war als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem Pharmaunternehmen tätig und lebte bis 2003.

Die Berichterstattung der Ärztekommission beim Nürnberger Ärzteprozess

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Die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern (AWDÄK, seit 1955 Bundesärztekammer) entsandte auf Initiative ihres Präsidenten Carl Oehlemann zum Nürnberger Ärzteprozess eine Ärztekommission unter Leitung des an der Universität Heidelberg als Privatdozent tätigen Neurologen und Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich. Der sechsköpfigen Kommission gehörten auch sein Mitarbeiter Fred Mielke sowie Alice Ricciardi von Platen an. Diese Kommission hatte die Aufgabe, den Prozess zu beobachten, die Dokumente zu sammeln und auszuwerten und schließlich über die Ergebnisse des Nürnberger Ärzteprozesses zu berichten. Mitscherlich und Mielke veröffentlichten sowohl einen Zwischenbericht 1947 als auch einen Abschlussbericht 1949.

Quelle

Alexander Mitscherlich über die Verletzlichkeit sittlicher Normen

Im Vorwort der in den 1960ern erschienenen zweiten Ausgabe des Schlussberichts der Ärztekommission beim Nürnberger Ärzteprozess unternahm Alexander Mitscherlich den Versuch, die offenbar gewordenen von Ärzten verübten Grausamkeiten zu begreifen und in Worte zu fassen:

Was sich auf diesen Seiten chronistisch verzeichnet findet, sind Untaten von so ungezügelter und zugleich bürokratisch-sachlich organisierter Lieblosigkeit, Bosheit und Mordgier, daß niemand sie ohne tiefste Scham darüber zu lesen vermag, daß Menschen zu solchem fähig sind. Indem er aber Kunde bekommt von den Folter- und Schreckenskammern unserer Zeit, wehrt er im Abscheu nicht nur ab, daß ihm diese äußeren Ereignisse zu nahe kommen, er wehrt auch kulturfremde Triebregungen in sich selbst ab, die durch das Aufwachsen in der Kultur, das heißt unter den Bedingungen der Mitmenschlichkeit gemildert wurde. Kultur lehrt die rücksichtslose Asozialität unserer Triebanlagen zu zügeln, angstfreier zu ertragen und in soziales Verhalten zu verwandeln. Aber die sittlichen Normen sind ein Gebäude, das weiterhin auf vulkanischem Boden ruht. Es ist deshalb nicht genug, nur zu erschrecken über das, was geschehen konnte, sondern immer zugleich die Wahrheit in sich einzulassen, daß es von Menschen getan wurde, die nicht als Monstren zur Welt kamen, die vielmehr oft in ziemlich unauffälliger Weise mit geläufiger Begabung es zu Fachkenntnissen und begehrten Stellungen in unserer Gesellschaft brachten, ehe sie die erworbenen Fähigkeiten der Menschlichkeit narkotisch lähmten und in eine weltzerstörerische Trieblust zurücksanken. Was in diesen Hohlräumen völliger Kulturentledigung, in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern geschah, war ungeheuerlich, so ungeheuerlich wie das Menschenwesen, das sich selbst ächtet und sich in das Wesen seiner Albträume verwandelt. Die furchtbare historische Koinzidenz stellte jene Hilfskader von abgerichteten Befehlsempfängern und -ausführern bereit, die dazu verhalfen, daß der Albtraum opferverschlingende Wirklichkeit werden konnte.

Mitscherlich, Alexander: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, (Fischer Bücherei, Bd. 332), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 7f.

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Berichterstattung mit Widerstand

Mitscherlich und Mielke veröffentlichten 1947 eine erste Dokumentation des Prozesses unter dem Titel "Diktat der Menschenverachtung". Platen publizierte 1948 ein Buch, in dem sie die "Euthanasie"-Morde an Geisteskranken dokumentierte. Beide Berichte widersprachen einer "Einzeltäter"-These und betonten das ethisch-moralische Kollektivversagen der gesamten deutschen Ärzteschaft angesichts ihrer willigen Vereinnahmung für NS-Ideologie und NS-Regime. Die Redaktionen medizinischer Fachzeitschriften weigerten sich, die Berichte zu drucken. Vielmehr kam es zu aktiven Widerständen in der deutschen Ärzteschaft, die Mitscherlich eine Verunglimpfung und Entehrung des deutschen Ärztestandes vorwarfen. Eine Rezension von Mitscherlichs Zwischenbericht in der Göttinger Universitätszeitung führte trotzdem zu einem "Dokumentenstreit" und zumindest zu einer gewissen Fachöffentlichkeit innerhalb der deutschen Ärzteschaft. Im Zwischenbericht von 1947 namentlich genannte klagten erfolgreich auf Unterlassung der Nennung ihrer Namen.

Der 1949 veröffentlichte Abschlussbericht der Kommission, "Wissenschaft ohne Menschlichkeit: Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg" wurde zwar mit einem Vorwort der AWDÄK in einer ersten Auflage von 10.000 Stück gedruckt. Diese erste für die westdeutsche Ärzteschaft gedachte Auflage wurde aber aus dem Verkehr gezogen und hatte somit kein Medienecho. Allerdings bewertete der Weltärztebund die Veröffentlichung des Berichts als Distanzierung von den Zielen und Praktiken der NS-Ärzte und nahm 1951 die westdeutsche Ärzteschaft wieder auf

Sowohl Mitscherlich als auch Platen wurden in Folge ihrer Veröffentlichungen in der deutschen Medizinwissenschaft marginalisiert: Mitscherlich fand kein Fortkommen in seiner akademischen Karriere, Platen siedelte zur weiteren Ausbildung nach Großbritannien über und ihre Dokumentation wurde erst in den 1990ern wieder gedruckt. Bis auf Aufsätze von Georg Bittner um 1961 wurde sich im Deutschen Ärzteblatt mit dem Thema Medizin im Nationalsozialismus erst wieder in den 1980ern auseinandergesetzt. Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart widmete 2017 in einem Beitrag über den Nürnberger Ärzteprozess im Deutschen Ärzteblatt einen Absatz der knappen zeitgenössischen Berichterstattung 1947.

Quelle

Anfeindungen und Widerstände gegen die Berichterstattung

Über die Widerstände und Anfeindungen, die er und Mielke erlebten, schrieb Mitscherlich im Vorwort der Ausgabe von 1960:

Es war schon seltsam, daß keiner der damals prominenten Ärzte Deutschlands sich bereitfand, seine zeit für diese qualvolle Unterrichtung über das zu opfern, was gerade noch unter dem Deckmantel der Eugenik oder anderer ärztlicher Forschung unmenschlich Wirklichkeit war, so daß der unvergessene Präsident der damaligen Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern, Dr. Oehlemann, schließlich an mich, der ich eben erst Privatdozent geworden war, gelangen mußte. So habe ich dann gemeinsam mit Fred Mielke, damals noch Student der Medizin, versucht, unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen zu berichten. Das Echo, das uns erreichte, enthielt Proteste einiger Forscher, deren Namen sich in den Dokumenten fanden. Ihre Betroffenheit, in Amt und militärischem Rang so nahe dem schieren Verbrechen gewesen zu sein, das aber erklärtes Kriegsziel war, ist einfühlbar. Keiner, der dem Apparat des Hitler mitgedient hatte, schob in seine Verteidigung den einfachen Satz ein: Es tut mir leid. Hier deutete sich bereits an, was man als Isolierung der Schuldigen, Abschieben der Schuld auf den krankhaften Verbrecher bezeichnen kann und was der Verstärkung jener Einsichtslosigkeit diente, von der ich allerdings heute wie damals glaube, daß sie – wenn es bei ihr bleibt – das Ende unserer geschichtlichen Existenz zur Folge haben muß. Die Anschuldigungen gegen uns nahmen schließlich ein groteskes Ausmaß an, und man konnte in der Folge manchmal glauben, wir hätten das alles, was hier verzeichnet ist, erfunden, um unseren ehrwürdigen ärztlichen Stand zu erniedrigen. Es ist nicht leicht, im Brennpunkt der Anfeindungen seiner Kollegen zu stehen, auch wenn man glaubt, die Motive zu verstehen. Die Entblößung all des Grauens vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die darin gerade keinen »großen Kriminalfall«, sondern die belastendsten Zeugnisse gegen einen Stand, ein ganzes Volk erblicken mußte, war zu schwer. Neue Schuldige mußten zur Entlastung von der eigenen, so unbegreifbaren und doch so fühlbaren Mitschuld gefunden werden, und das waren Mielke und ich. Ziemlich hoffnungslos, mit unserer Publikation noch einen Beitrag zur Wendung des Geschicks ins Bessere leisten zu können, legten wir sie schließlich auftragsgemäß vor.

Mitscherlich, Alexander: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, (Fischer Bücherei, Bd. 332), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 14f.

Quelle

Das "seltsame Schicksal" der ersten Auflage

Hier muß des bisherigen seltsamen Schicksals dieses Buches und seines Vorgängers, der Broschüre »Das Diktat der Menschenverachtung« gedacht werden. Ich habe als Leiter der »Deutschen Ärztekommission« beim 1. Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern und entsprechend dem Beschluß des 51. Deutschen Ärztetages gemeinsam mit meinem Mitarbeiter, Dr. Fred Mielke, die Unterlagen zu dieser Dokumentation und zu der früheren gesammelt. Diese enthielt nur einen Auszug aus dem Material der Anklage; sie erschien noch während des Prozesses und war als Informationsquelle vor allem für den ärztlichen Leser gedacht, um ihm den Zugang zum Prozeßgeschehen zu erleichtern. […] Ziemlich hoffnungslos, mit unserer Publikation noch einen Beitrag zur Wendung des Geschicks ins Bessere leisten zu können, legten wir sie schließlich auftragsgemäß vor. 10 000 Exemplare gingen an die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern zur Verteilung an die Ärzteschaft. Im Gegensatz zum »Diktat der Menschenverachtung« bleib jetzt die Wirkung völlig aus. Nahezu nirgends wurde das Buch bekannt, keine Rezensionen, keine Zuschriften aus dem Leserkreis; unter den Menschen, mit denen wir in den nächsten zehn Jahren zusammentrafen, keiner, der das Buch kannte. Es war und blieb ein Rätsel – als ob das Buch nie erschienen wäre. Nur von einer Stelle wissen wir, daß es ihr vorlag: dem Weltärztebund, der, wesentlich auf unsere Dokumentation gestützt, in ihm einen Beweis erblickte, daß die deutsche Ärzteschaft von den Ereignissen der verbrecherischen Diktatur abgerückt sei und sie wieder als Mitglied aufnahm. Das Vorwort der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern zur ersten Ausgabe schloß mit den Sätzen:

»Den Mitgliedern der Kommission, insbesondere den Herren Privatdozent Dr. Alexander Mitscherlich und Fred Mielke, Heidelberg, gebührt der Dank der Ärzteschaft für die objektive, gewissenhafte und verdienstvolle Erfüllung ihrer Aufgabe. Möge das Ergebnis ihrer Arbeit dazu beitragen, die Gesinnung reiner Menschlichkeit und wahren Arzttums zu befestigen, die Befolgung der Gebote des geschriebenen und ungeschriebenen ärztlichen Sittengesetzes zu verbürgen und durch ein soziales und sittlich unantastbares berufliches und außerberufliches Verfahren aller deutschen Ärzte die schwere Schuld einzelner entarteter Glieder ihres Standes zu tilgen.« 

Und dann schien alles vergessen. 

Mitscherlich, Alexander: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, (Fischer Bücherei, Bd. 332), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 14f.

Das Zitat aus dem Vorwort der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern in der ersten Auflage:
Mitscherlich, Alexander & Mielke, Fred: Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg, Heidelberg 1949, S. VIII.

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NS-"Euthanasie"-Prozesse in Bayern 1949

Der Psychiater und Neurologe Hermann Pfannmüller war fanatischer Nationalsozialist und in der NS-Zeit als Anstaltsdirektor der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar tätig. Unter seiner Leitung wurden Patienten mittels Mangelernährung und überdosierte Schlafmittel umgebracht und in der bayernweit ersten "Kinderfachabteilung" 332 Kinder durch Giftspritzen ermordet. Als T4-Gutachter veranlasste den Mord an mehreren tausend Patienten. Er wurde von der US-Army verhaftet und interniert und sagte während des Nürnberger Ärzteprozesses als Zeuge der Verteidigung aus. 1949 wurde er schließlich vor das Schwurgericht München gestellt und im November 1949 wegen Totschlags und Beihilfe zum Totschlag zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nach einem Revisionsverfahren wurde seine Gesamtstrafe auf insgesamt fünf Jahren Haft reduziert. Pfannmüller bestritt stets seine Beteiligung an den Euthanasieverbrechen.

Valentin Faltlhauser war Psychiater und Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren sowie der Zweigstelle Irsee. Außerdem war auch er T4-Gutachter. Über 600 Patienten der Anstalt Kaufbeuren wurden in Grafeneck und Hartheim ermordet. Nach der offiziellen Beendigung der "Aktion T4" wurden unter Faltlhauser 1.200 bis 1.600 Patienten, darunter etwa 210 Kinder, durch Verhungern, Schlaftabletten und Giftspritzen ermordet. In Kaufbeuren fanden die Tötungen noch über das Kriegsende hinaus bis zu einer Inspektion zweier amerikanischer Offiziere am 2. Juli 1945 statt. Faltlhauser wurde 1949 vor dem Landgericht Augsburg angeklagt, welches ihn im Juli 1949 wegen Anstiftung zur Beihilfe zum Totschlag zu drei Jahren Haft verurteilte. Die Vollstreckung der Haftstrafe wurde jedoch wegen Haftunfähigkeit wiederholt aufgeschoben und im Dezember 1954 wurde Faltlhauser vom bayerischen Justizminister begnadigt. Faltlhauser bestritt stets die Verbrechensabsicht und suchte sich zu rechtfertigen, indem er sich auf Pflichtbewusstsein, Mitleid und einen angeblichen gesellschaftlichen Konsens berief.

Das Amnestiegesetz von 1954 und seine Folgen

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Mittels Amnestiegesetzgebung suchte die junge Bundesrepublik die alliierte Entnazifizierungspolitik zu beenden und kleine Straftäter und von den Spruchkammern als "Mitläufer" Eingestufte in die Gesellschaft zu reintegrieren. Das Amnestiegesetz von 1954 diente einer Selbstrehabilitation und Selbstlegitimation der jungen Bundesrepublik und gewährte einem größeren Kreis an NS-Tätern Straffreiheit. In der Folgezeit sank die Zahl neu eingeleiteter Ermittlungsverfahren sowie rechtskräftiger Verurteilungen von NS-Tätern deutlich.

Auch nach dem Amnestiegesetz von 1954 gab es vereinzelte Strafprozesse im Zusammenhang mit der NS-Euthanasie. Jedoch waren die Anklagen wenig erfolgreich. Allerdings wurden die Ermittlung und Strafverfolgung der Staatsanwaltschaften der westdeutschen Bundesländer 1958 in einer Zentralen Stelle in Ludwigsburg gebündelt.

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"Amnestiegesetz" 1954

Bereits Anfang des Jahres 1950 war ein älteres Amnestiegesetz in Kraft getreten, welches kleinere Delikte wie Schwarzmarktgeschäfte, Verschleierung der eigenen Identität und Eigentumsdelikte aus der NS-Zeit und der Nachkriegszeit bis zum 15. September 1949 straffrei stellte.

Das Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren wurde am 17. Juli 1954 ausgefertigt. Es erließ bereits verhängte Strafen und Geldbußen und schlug anhängige Verfahren nieder bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die vor dem 1. Januar 1953 begangen worden waren.
Dieses neue Amnestiegesetz diente mehreren Zwecken: Mit Anklagen wegen Bestechlichkeit und Untreue bedrohte Bonner Beamte, die dem Informationsdienst von Robert Platow Material geliefert hatten, sollten vor Strafen bewahrt werden ebenso wie solche, die Steuervergehen und Vergehen gegen Vorschriften des Interzonenhandels begangen haben, sowie geringfügige Straftaten mit einem Strafmaß von drei Monaten. Auch wurden strafbare Vorfälle übler Nachrede unter Amnestie gestellt, was auch Konrad Adenauer zugute kam nachdem er im Bundestagswahlkampf 1949 Unwahrheiten über zwei SPD-Funktionäre behauptet hatte.
Über den sogenannten "Zusammenbruchsparagraphen", § 6, konnten noch lebende Täter schwerwiegender NS-Verbrechen im "Endphase" genannten Zeitraum Oktober 1944 bis einschließlich Juli 1945 auf Straffreiheit hoffen, wenn sie sich auf einen Befehlsnotstand beriefen. Alle Strafregistereinträge, die aus Spruchkammerurteilen vor der Gründung der Bundesrepublik stammten, wurden gelöscht. Die Straffreiheit der Verschleierung der eigenen Identität wurde aus dem Amnestiegesetz von 1949 übernommen und mit einer Gnadenfrist versehen, die bei im Ausland lebenden untergetauchten NS-Tätern aber erst mit dem Wiederbetreten bundesdeutschen Staatsgebietes beginnen würde.
Dennoch konnten besonders schwerwiegende NS-Verbrechen weiterhin strafrechtlich verfolgt werden.

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Die Ludwigsburger Zentrale Stelle und die NS-"Euthanasie"-Prozesse nach 1954

Die Ludwigsburger Zentrale Stelle

1958 errichteten die Justizminister und -senatoren der westdeutschen Länder im baden-württembergischen Ludwigsburg die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen", um die staatsanwaltlichen Ermittlungen von NS-Verbrechen in den Bundesländern durch Vernetzung und Informationsbündelung effektiv voranzutreiben. Die 1960er und 70er Jahre bedeuteten eine Hochphase der Tätigkeit der Zentralen Stelle, die insbesondere für den Auschwitz-Prozess von großer Bedeutung war.

Die Frankfurter T4-Prozesse 1962-1970

Während er mit den Auschwitz-Prozessen einen Erfolg verbuchen konnte, geriet der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer bei den Ermittlungen und beim Strafprozess gegen die Hauptverantwortlichen der für die "Aktion T4" verantwortlichen Abteilung "Zentraldienststelle T4" der "Kanzlei des Führers" an seine Grenzen. Zwar konnte mithilfe der Ludwigsburger Zentrale Stelle bereits 1962 eine 445 Seiten lange Anklageschrift vorgelegt werden, jedoch entzogen sich die Hauptverantwortlichen durch Selbstmord, Flucht ins Ausland und Verhandlungsunfähigkeit einer Verurteilung. In Folge des Todes Fritz Bauers am 1. Juli 1968 wurde das erste Verfahren eingestellt. Allerdings wurden im Dezember 1968 der T4-Geschäftsführer und der Leiter der T4-Transportabteilung wegen Beihilfe zum Mord zu 8 bzw. 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1970 erfolgte die Verurteilung der Leiter der T4-Wirtschaftschaftsabteilung und der T4-"Zentralverechnungsstelle" wegen Beihilfe zum Mord zu 7 bzw. 10 Jahren Haft.

Hamburger Prozess 1973-1974

In Hamburg wurde 1973 ein Prozess gegen Friedrich Lensch, einen lutherischen Pastor und Direktor der Alsterdorfer Anstalten, sowie Kurt Struve, einen leitenden Beamten der Hamburger Gesundheitsbehörde, angestrengt. Der Prozess scheiterte an der Verhandlungsunfähigkeit Struves und der Nichtzulassung der Anklage gegen Lensch durch das Gericht.

Der Frankfurter "Euthanasie"-Prozess 1987

Im Mai 1987 wurden zwei in der Planungsgruppe der "Zentraldienststelle T4" sowie der Tötungsanstalt Brandenburg tätige Ärzte wegen Beihilfe zum Mord zu Freiheitsstrafen von je 4 Jahren verurteilt. 

"Vergessene" Opfer

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Die gesellschaftliche Verdrängung und personelle Kontinuitäten in Behörden, Medizin, Justiz und Fürsorgeeinrichtungen waren für viele Opfer von NS-Unrecht weitere Hürden, um als NS-Verfolgte anerkannt zu werden. Das Fortbestehen von NS-Gedankengut sowie Diskriminierungen aus noch älterer Zeit führte dazu, dass viele Opferkategorien nicht als solche wahrgenommen wurden. Angesichts der Begrenztheit der den Wiedergutmachungsbehörden zur Verfügung stehenden Mittel und der deswegen vermuteten "Opferkonkurrenz" galten viele solcher "vergessenen" Opfer als "nicht entschädigungswürdig". Hinzu kamen politische Gründe. Allen Entschädigung beantragenden Opfern wurde allgemein mit Misstrauen und mitunter auch mit unprofessioneller Feindseligkeit begegnet.

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Der Begriff "vergessene Opfer"

Mit "vergessene Opfer" werden solche gemeint, die NS-Verfolgung erlitten haben, aber nach 1945 lange Zeit nicht als "legitime" Opfer des NS-Regimes wahrgenommen oder anerkannt wurden. 

Hintergrund dieser Nichtwahrnehmung und Nichtanerkennung konnte sein, dass diese Gruppen weiterhin diskriminiert wurden, weil sie bereits vor der Zeit des NS-Regimes Verfolgung und Diskriminierung erlitten haben und die NS-Ideologie bereits bestehendes ausgrenzendes und diskriminierendes Gedankengut aufgegriffen hatte. Außerdem wurden angesichts des Kalten Krieges in Deutschland Kommunisten, die dem NS-Regime zum Opfer fielen, nicht als "legitime" NS-Verfolgte anerkannt. Auch in der jungen Bundesrepublik mussten beispielsweise Homosexuelle mit Diskriminierung kämpfen; § 175 des Strafgesetzbuches wurde in der BRD zunächst 1969 liberalisiert und erst 1994 vollends gestrichen (in der DDR wurde § 175 StGB bereits 1968 gestrichen, 1988 das Schutzalter angeglichen). Sinti und Roma und Jenische erlitten weiterhin eine Kontinuität von Diskriminierung und polizeilicher Verfolgung. Sie wurden weiterhin mit Begriffen wie "Berufsverbrecher", "arbeitsscheu" und "asozial" abgestempelt, Kinder von traditionell nomadisch aber auch armen sesshaften Sinti, Roma und Jenischen wurden ihren Eltern weggenommen und in Zwangsfürsorge gebracht. Dieses Vorgehen war nicht nur auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Insgesamt wurden in der NS-Zeit als "Berufsverbrecher" bzw. "Kriminelle", "Arbeitsscheue" und "Asoziale" bezeichnete Angehörige der Unterschichten auch in der jungen Bundesrepublik unter diesen Begriffen weiterhin diskriminiert. Selbst andere Opfergruppen grenzten sich von ihnen ab, insbesondere weil die Verantwortlichen in den Konzentrationslagern geschickt Feindschaft zwischen den "Asozialen" und anderen Gruppen, wie den "politischen Gefangenen" gesät hatten. Bei Zwangssterilisierten wurde ihr Status als NS-Verfolgte lange Zeit nicht anerkannt. Das Stigma "erbkrank" zu sein dauerte nach 1945 fort. Auch die Hinterbliebenen der NS-"Euthanasie"-Mordopfer sowie die Zwangsarbeiter blieben lange "vergessen".

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"Vergessene" Täter?

Bereits 1949 begannen die Staatsanwaltschaften und Gerichte, milder mit den Angeklagten umzugehen. Mit dem "Schlussstrich" des Amnestiegesetzes von 1954 wähnte man die NS-Vergangenheit aufgearbeitet. Zwar wurden die "großen" Täter, denen man direkte Beteiligung an der NS-"Euthanasie" und den Medizinverbrechen nachweisen konnte, zur Rechenschaft gezogen. Dennoch bestand eine personelle Kontinuität: Viele Anstaltsleiter, Psychiater, Ärzte, Beamte und andere "Fachleute" blieben weiterhin tätig, obwohl ihre Gutachten und Entscheidungen das Leid und den Tod vieler erst möglich machten. Unter diesen Umständen konnte es dazu kommen, dass Psychiater und Ärzte ihre eigenen Opfer bezüglich ihrer Wiedergutmachungsverfahren begutachteten und ihnen dabei Steine in den Weg legten. Gutachten und gefälschte Totenscheine aus der NS-Zeit wurden weder fachlich noch behördlich angezweifelt: Systemkonforme Gutachter, die für die Erbgesundheitsgerichte tätig waren, wurden lange noch als Sachverständige auch beim Ausschuss für Wiedergutmachung des Bundestages herangezogen und ihre diskriminierenden Argumentationen wurden selbst noch 2013 von der Bundesregierung herangezogen um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte wurden nicht gekippt. NS-Gedankengut blieb unterschwellig fortbestehen. Erst im Laufe der 1970er und 80er Jahre wurden diese Täter öffentlich mit ihrer NS-Vergangenheit konfrontiert.

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Mitscherlich über das mangelnde Aufarbeitungsinteresse

Zehn Jahre nach der Veröffentlichung seines Abschlussberichtes vom Nürnberger Ärzteprozess beschrieb Alexander Mitscherlich das mangelnde Interesse an Aufarbeitung und kritisiert die Verdrängung:

Und dann schien alles vergessen. Es begann der erstaunliche Wiederaufstieg der Bundesrepublik, der psychologisch betrachtet sich unter dem Begriff des »Ungeschehenmachens«, einer gigantischen Beseitigung der Spuren, einordnen läßt. Man hat Berge von Schutt beseitigt und ein neues, wohlhabenderes Deutschland erstehen lassen, als wir alle es aus unserer Lebenszeit kannten. Wer heute nach Deutschland fährt, kann sich nicht vorstellen, daß vor 20 Jahren hier die Gasöfen rauchten, in denen die Geisteskranken verbrannt wurden, daß vor 15 Jahren erst sich die Konzentrationslager für die letzten Überlebenden von Millionen öffneten, daß junge deutsche Soldaten, von ihren eigenen Standgerichten verurteilt, an den Apfelbäumen der Landstraßen hingen. Wieder hat Tüchtigkeit und Ordnungsgabe das Grauen gebannt. Aber diese Tüchtigkeit, die Berge von Trümmern vesetzen konnte, den Schuldberg konnte sie nicht versetzen. So erfolgte die Schuldentlastung auf psychischem Wege durch den Fluchtversuch der Verdrängung. So weit sind wir jetzt. Aber es scheint, daß mit dem Grad der Sättigung, der Vollendung des äußeren Ungeschehenmachens, das Verdrängte wiederkehrt. Denn: »Das Verdrängte ist … vogelfrei, ausgeschlossen aus der großen Organisation des Ich«. Man kann es nicht in die Distanz der Reflexionen bringen. Ohne die Arbeit des Ich, der bewußten Vernunft, ändert sich aber nichts an den alten Triebwünschen, die in die mörderische Aktivität und Selbsterniedrigung treiben; vielmehr wird die Selbsterniedrigung schon nicht mehr ins Bewußtsein aufgenommen, sondern verdrängt. Das Verdrängte kehrt unerledigt wieder. »Der neuerliche Triebablauf vollzieht sich unter dem Einfluß des Automatismus … Er wandelt dieselben Wege, wie der früher verdrängte«. Der Trieb, der sich so, das Bewußtsein korrumpierend, entlud, ist immer noch da erschreckend wie je. Ewige Wiederkehr des Gleichen? Wird er sich in der neuen Auseinandersetzung von der Vernunft formen, und das heißt, in einer mitmenschlich erträglichen Form befriedigen lassen? Oder wird er wieder zu wahnhaften Verkennung der Welt verführen, die Vernunft hinter sich herschleppend, wie es die Dokumente diese Buches bezeugen?

Mitscherlich, Alexander: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, (Fischer Bücherei, Bd. 332), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 15f.

Mitscherlich zitiert Sigmund Freud.

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Intergenerationelles Trauma

Die Internierung ihrer Urgroßmutter Josefa Bühler in Kaufbeuren als Geisteskranke führte zu einem intergenerationellen Trauma, über das ihre Urenkelin Petra Bergler-Fischer berichtete:

Es ist auch ein Tabuthema gewesen in der Familie. Meine Mutter hat gesagt, es sei nie darüber geredet worden, weil Schamgefühl oder Angst herrschten. Wie auch immer, es sollte keiner erfahren. Von der Diagnose Schizophrenie muss meine Großmutter aber gewusst haben. Sie ist ja selbst in diese Schublade gesteckt worden. Im Februar 1937, da war meine Großmutter knapp 18 Jahre alt, ist sie vom Gesundheitsamt begutachtet worden. In dem Bericht heißt es, eine Erbkrankheit im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes finde sich keinesfalls bei ihr, aber sie sei als „schizoide erbbelastete Psychopathin“ anzusehen. Da steht, von einer Verehelichung werde dringend abgeraten. Falls bei ihr dennoch der Wunsch nach einer Ehe auftauche, müsse man erneut prüfen, ob die Bestimmungen nach dem Erbgesundheitsgesetz angewendet werden könnten. Das heißt: Es bestand die konkrete Gefahr, dass meine Großmutter zwangssterilisiert wird. Ich denke oft, wie knapp es passiert ist, dass wir alle da sind. Sie ist haarscharf an der Sterilisierung vorbeigeschrammt. Dann wären wir alle nicht da. […] Auch bei uns in der Familie ist nicht darüber gesprochen worden. Das war ja auch die Strategie von den Nazis: Wenn die Menschen so beschämt und so ängstlich sind, dann haben die leichtes Spiel mit ihrem Treiben. Dann hinterfragt das keiner, es wird nicht publik, dann kann man weitermachen wie gehabt. Weil die Leute Angst hatten, da kommt irgendwas raus, dass man geisteskrank ist oder das man irgendwas in der Familie hatte. Das hat denen ja in die Hände gespielt.

Schulze, Dietmar: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 162f.

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Enttäuschung und Wut

Petra Bergler-Fischer berichtete von ihrer Wut auf die politisch Verantwortlichen wegen der mangelnden Aufarbeitung und Anerkennung:

Ich habe die Schulbücher noch und habe nachgeschaut. Da sind zwei Einzeiler drin im Geschichtsbuch über die „Euthanasie“. Das war 1974, da war das kein Thema. Ich habe als kleines Kind, wenn ich bei meinen Großeltern war, schon ein-, zweimal die Worte Kaufbeuren und Irrenhaus aufgeschnappt. Das ist mir jetzt wieder in Erinnerung gekommen. Und ich habe von meiner Mutter erfahren, dass ihre Mutter im Waisenhaus in Augsburg aufgewachsen ist. [...]

Bis zu 300.000 Menschen sind ermordet worden. Ich weiß nicht, ob es der deutsche Staat nicht aufs Tablett bringen wollte, ob es totgeschwiegen werden sollte, ob man sich nicht damit auseinandersetzen wollte. Es ist eine Tragödie, dass das so lange gedeckelt wurde. Dass es erst heute aufkommt, wo die Leute gestorben sind und keine Unterlagen mehr da sind. [...]

Zu Trauer und Schock kommt bei mir die Wut. Dass all dieses Leid nicht anerkannt wurde. Dass die Politik das abgelehnt hat. Keine Würdigung, keine Entschädigung. Das macht mich so wütend, wenn ich dran denke.

Schulze, Dietmar: Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 162f.

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Tabuthema "Euthanasie"-Mord von Angehörigen

Amalie Speidel erzählte vom langen Schweigen über ihren Bruder Ernst Lossa bis in die 1980er: 

Ich habe mich lange nicht mit Ernst und meinem Vater befasst. Ich war mit dem eigenen Leben und der Arbeit beschäftigt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass in der Verwandtschaft über Ernst oder meinen Vater gesprochen wurde. Es war, wie wenn nichts gewesen wäre. Ich glaube, dass die Tante in Heilbronn von Ernst nichts gewusst hat. Die Geschichte von meinem Vater schon. Die Tante war die älteste Schwester vom Vater. Sie hat aber nie etwas verlauten lassen von ihm. Da war sie stillschweigend. Aber sie muss etwas gewusst haben. Sie hat bloß uns Mädchen nichts gesagt.

Sie hat Geld gekriegt, eine Art Vergütung. Das war so eine Art Gericht, das das Geld geschickt hat. Sie hat uns zwei Mädchen dann je 2.000 Mark gegeben. Aber das war viel später, da war ich schon in Backnang.

Schulze, Dietmar: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 152.

Die "Wende" für die "vergessenen" Opfer in den 1980ern

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In den späten 1970ern herrschte bei den bis dahin auf Tagungen und in Publikationen beteiligten Akteuren, dass der Streit um Entschädigungen für NS-Verfolgte abgeschlossen sei. In Folge der Ausstrahlung der US-amerikanischen TV-Mini-Serie "Holocaust: Die Geschichte der Familie Weiss" in Westdeutschland 1979 wurde diese Annahme aber verstärkt in Frage gestellt, die Entschädigungsdiskussion wiederbelebt und die "vergessenen Opfer" begannen sich zu organisieren: Sinti und Roma und Jenische, Zwangssterilisierte, Homosexuelle, "Asoziale", Zwangsarbeiter, Desserteure und die Angehörigen von NS-"Euthanasie"-Mordopfern verlangten gehört zu werden, begannen miteinander zu kooperieren um "Opferkonkurrenz" entgegenzuwirken, und übten Druck auf die im Bundestag vertretenen Parteien aus. Bei einem öffentlichen Hearing des Innenausschusses im Juni 1987 kamen Vertreter der bisher marginalisierten Gruppen endlich zu Wort.

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Triebfeder Behindertenrechtsbewegung

Bereits Ende der 1950er Jahre gründeten die Eltern von behinderten Kindern beeinträchtigungsbezogene Vereinigungen mit dem Ziel der besseren bedürfnisbezogenen Versorgung und Förderung. Diese Entwicklung wurde insbesondere durch die im Zeitraum von 1958 bis 1962 mit schweren Missbildungen geborenen "Contergan-Kinder" gefördert, durch die körperliche Behinderungen verstärkt in den gesellschaftlichen Fokus gerückt wurden.

Dennoch bestand ableistisches Gedankengut aus dem NS-Regime fort und Behinderte wurden weiterhin entmündigt und ausgegrenzt. Heime waren weiterhin "totale Institutionen", die auf die selbe harte Art und Weise geführt wurden wie in der NS-Zeit. Auch psychiatrische Großeinrichtungen waren in einem desolaten Zustand, der erst durch die Psychiatrie-Enquete-Kommission von 1975 entdeckt wurde.

In den 1970er Jahren begann ein Umdenken, in dem der Fokus von "Defekten" des betroffenen Individuums hin auf gesellschaftliche Aspekte und Barrieren gerichtet wurde. Im Kontext der 68er-Bewegung und der zunehmenden Politisierung wurde einer selbstständig organisierte, eigenständige Behindertenbewegung angestoßen: Initiativen zum selbstbestimmten Leben und der Überwindung von Barrieren mit dem Ziel gleichberechtigter sozialer und politischer Partizipation wurden gegründet.

Aufgrund eines Gerichtsurteils 1980, welches die Anwesenheit von Behinderten als "Reisemangels" und im Kontext des von der UN ausgerufenen "Jahres der Behinderten" 1981 kam es zur Gründung von "Krüppelgruppen" und zum "Krüppeltribunal", in dem Behinderte öffentlichkeitswirksam und schonungslos Bevormundung und die Verschleierung weiterhin bestehender Diskriminierung offenlegten und kritisierten.

Im Laufe dieser Bewegung wurde Behinderung in all ihren Formen in das gesellschaftliche Bewusstsein geholt. Darauf aufbauend wurde auch verstärkt nicht nur der zeitgenössische Umgang mit Behinderten in Frage gestellt, sondern auch danach, wie sie zur Zeit des NS-Regimes behandelt wurden.

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Opferverbände und -beratung

1982 wurde der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegründet, 1986 der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten sowie der Bundesverband Homosexualität und ein internationales Netzwerk der ehemaligen Zwangsarbeiten, und 1990 die Bundesvereinigung Opfer NS-Militärjustiz.

1989 wurde in Köln eine Informations- und Beratungsstelle für NS-Opfer gegründet aus der 1993 der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte hervorging, der als politische Lobby, Berater bei der Antragstellung und Advokat für verbesserte medizinische und soziale Betreuung hilfsbedürftiger NS-Verfolgter dient.

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Die Arbeitsgemeinschaft Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten

Von Anfang an suchten NS-"Euthanasie"-Hinterbliebene, Zwangssterilisierte und andere durch das NS-Regime Gesundheitsgeschädigte den Schulterschluss. Bereits in den 1950er Jahren wurde von diesen ein "Zentralverband der Sterilisierten und Gesundheitsgeschädigten im Bundesgebiet" gegründet und versuchte vergeblich, prominente Politiker wie Bundespräsident Theodor Heuss oder den bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard als Schirmherren zu gewinnen.

Im Aufwind der Debatte um die "vergessenen Opfer" wurde 1987 in Detmold die Arbeitsgemeinschaft Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte neben der Initiatorin und späteren Vorsitzenden Klara Nowak die Bildhauerin, Psychiatrie-Aktivistin und Zwangssterilisierungs-Überlebende Dorothea Buck

Der BEZ setzte sich verstärkt für die Anerkennung und Rehabilitierung von Zwangssterilisierten und den Hinterbliebenen von NS-"Euthanasie"-Mordopfern als NS-Verfolgte ein. Auch organisierte der BEZ die Vernetzung der Opfer und Verfolgten durch Einrichtung von Gesprächskreisen.

Nicht nur Historiker und Ärzte wie der Historiker und Psychiater Klaus Dörner gehörten zu den ersten Unterstützern, sondern auch der Verein Lebenshilfe Detmold und der Gesamtverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Auch konnte 1987 die Unterstützung der damaligen Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Rita Süssmuth gewonnen werden, die jährliche Fördermittel bewilligte. Auch erhielt der BEZ eine Spende vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

Nach Teilerfolgen mussten der BEZ und andere Opferverbände in den 2000ern nach und nach viele ihrer Aktivitäten altersbedingt einstellen. Zwar wurde das Ziel der Anerkennung als NS-Verfolgte und -Opfer größtenteils erreicht, jedoch nicht das Ziel angemessener Entschädigung. In den Jahren 2017 und 2018 kam es zu öffentlich geführten Meinungsverschiedenheiten mit dem Bundestag und dem Bundesarchiv, weil der BEZ zum Einen bei einer Gedenkveranstaltung des Bundestages für NS-"Euthanasie"-Mordopfer und Zwangssterilisierte nicht richtig eingebunden wurde und zum Anderen vor der Publikation der Namen von NS-"Euthanasie"-Mordopfern durch das Bundesarchiv nicht konsultiert wurde.

Quelle

Vom Beamten ausgelacht

Eine Zwangssterilisierte berichtet in einem Brief an den BEZ, wie sie anlässlich der Ausstrahlung der TV-Miniserie "Holocaust" im Jahr 1979 und der sie begleitenden Diskussionen sich ihrem sozialen Umfeld offenbarte und von ihnen Anteilnahme und Unterstützung erfuhr, im Wiedergutmachungsamt aber höhnisch abgeblitzt wurde:

Im Fernsehen wurde dann 1979 von KZ und Judenverfolgung gesprochen. Ich fasste mir dann ein Herz und habe den Hausleuten von meinem Schicksal erzählt. Sie waren so erschüttert, dass man sich an das Wiedergutmachungsamt in Saarburg wandte. Als wir dahin kamen, da hat der Herr, dem wir den Fall schilderten, so gelacht und sich gefreut, dass ich den Zeitpunkt 1969 versäumt hätte. Ich sagte zu ihm: Ich glaube Sie haben so ein Freude an meinem Leid, dass Sie aus der Hitlerzeit noch über geblieben sind.

Westermann, Stefanie: Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland, (Menschen und Kulturen, Bd. 7), Köln 2010, (Zugl.: Erfurt, Univ., Diss., 2009), S. 257.

Am vorgefundenen Zitat wurden Korrekturen von Rechtschreibung und Interpunktion vorgenommen.

Aufarbeitung und Anerkennung

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Um 1980 entstand als Teil der Neuen Sozialen Bewegung eine neue Geschichtsbewegung, welche sich mit der Erforschung der lokalen NS-Vergangenheit beschäftigte. 1981 und 1983 war der "Alltag im Nationalsozialismus" Thema des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte. Daraus erwuchsen Initiativen zur Entdeckung "vergessener Opfer", "vergessener KZs" und anderer "vergessener Orte" des NS-Terrors, sowie zur Errichtung von Gedenkstätten. Der Blick ging räumlich über die KZs und thematisch über die bisher im Zentrum stehenden Verfolgtengruppen hinaus und fiel schließlich auf bisher übersehene Orte wie Psychiatrien und marginalisierte Opfer. Vereinzelt konnten Aufarbeitungs- und Gedenkinitiativen aber auch auf örtlichen Widerstand stoßen, wie beispielsweise die Aufarbeitungs- und Gedenkinitiative im Land Oldenburg.

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Dr. Michael von Cranach

Lebenswerk Aufarbeitung

Dr. Michael von Cranach wurde am 4. August 1941 in Berlin geboren. Er studierte von 1959 bis 1965 in Bonn Medizin. Seine Weiterbildung zum Psychiater erfolgte von beim Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und 1968 bis 1970 beim Maudsley Hospital in London. 1973 erhielt er seine Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie.

Er war von 1980 bis 2006 ärztlicher Direktor der Bezirksklinik in Kaufbeuren und trieb nicht nur die Aufarbeitung der NS-"Euthanasie" in seiner Einrichtung voran sondern engagierte sich auch für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Feldes des Psychiatrie. Er zählt zu den Wegbereitern der Umsetzung der 1975 angestoßenen Psychiatriereformen. Seit 2006 betreibt er eine Praxis in München, ist als Professor an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München tätig und beteiligte sich am Aufbau des Münchener NS-Dokumentationszentrum.

Dr. von Cranach erhielt für sein Lebenswerk Auszeichnungen: 2019 wurde ihm die Wilhelm-Griesinger-Medaille verliehen, 2021 die Paracelsus-Medaille und 2022 der Bayerische Verfassungsorden.

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Späte und spärliche Entschädigungen

Hinterbliebene von NS-"Euthanasie"-Mordopfern und Zwangssterilisierte wurden im Bundesentschädigungsgesetz nicht berücksichtigt. Erste Entschädigungszahlungen erfolgten erst über "Härtefallregelungen". Es wurden Härtefonds eingerichtet und die Regelungen mit der Zeit nach und nach gelockert. Letztendlich wartete der Staat aber ab, bis sich der Kreis der Entschädigungsberechtigten durch Altern und Sterben reduzierte: Einige tausend NS-Verfolgte, wie Sinti und Roma sowie Zwangssterilisierte, erhielten Einmalzahlungen und kleine Renten.

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Spätes offizielles Gedenken

Die lokalen Initiativen der 1980er erreichten lokales Gedenken und das Errichten erster Gedenkstätten und Mahnmale, wie das Mahnmal im Friedhof des Klosters Irsee 1981. Auch heute noch wird Aufarbeitung betrieben und neue Mahnmale werden errichtet.

Am Holocaustgedenktag, 27. Januar 2017, wurden die NS-"Euthanasie"-Mordopfer und Zwangssterilisierten das erste Mal Schwerpunkt bei der Gedenkveranstaltung des Bundestages. 

Am 30. August 2018 machte das Bundesarchiv Namen von NS-"Euthanasie"-Mordopfern öffentlich.

Im Juni und Juli 2024 debattierte der Bundestag über Intensivierung der Aufarbeitung der NS-"Euthanasie" und Zwangssterilisierung, wobei sich alle fünf Fraktionen und die zwei Gruppen sich darin einig waren sich dafür auszusprechen. Konkrete Beschlüsse stehen noch aus.

Quelle

Lokale Aufarbeitung

Ernst Lossas Schwester Amalie Speidel erzählte wie der damalige leitende ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Dr. Michael von Cranach in den 80ern mit ihr Kontakt aufnahm:

Erst Anfang der 1980er habe ich dann erfahren, was mit Ernst und mit Papa wirklich passiert ist. Da hat Dr. von Cranach angerufen. Ich wusste bis dahin auch nicht, dass die Familie Lossa Jenische sind. Als Kind weiß ich nur, dass sie „Zigeuner“ zu uns gesagt haben. Aber ich wusste nicht warum.

Auch in der Akte von Ernst steht, dass er angeblich aus einer Zigeunerfamilie stammt. Das hat mir damals Dr. von Cranach erzählt. Er hat mich Anfang der 80er-Jahre zum ersten Mal angerufen. […] Der Herr Cranach hat mich gefragt, ob ich mich geniere, dass ich eine Jenische bin. Da hab ich gesagt, teils teils.

Schulze, Dietmar: Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 152.

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Angehörige begrüßen Aufarbeitung

Pater Koloman Viertler OSB war froh, dass das Schicksal seines Bruders Konrad aufgearbeitet wurde:

Im September 2015 war die Verlegung der Stolpersteine in Irsee. Dazu habe ich mich damals entschlossen, auch in Rücksprache mit meinen beiden Geschwistern. Es war selbstverständlich, dass wir mitmachen. Er soll nicht ganz dem Vergessen anheimgestellt sein. Ich habe es so empfunden, dass ich bei der Aufarbeitung Hilfe erfahren habe. […]

Ich habe einen Neffen, der eine Diplomarbeit geschrieben hat über die „Euthanasie“, über die Kinder-„Euthanasie“ im Nationalsozialismus, auch über meinen Bruder. Er hat Geschichte studiert und hat die Diplomarbeit 2016 zum Abschluss seines Studiums in Graz verfasst, am Institut für Geschichte.

Die Familie, auch meine Neffen und Nichten, waren sehr zufrieden, dass Konrads Geschichte aufgearbeitet wurde. Es gab ein großes Echo in meiner ursprünglichen Heimat im Südtirol. Da ist die Verwandtschaft sehr groß. Da ist das Schicksal damals in der Tageszeitung „Dolomiten“ aufbereitet worden. […]

Das Aufarbeiten des Schicksals meines Bruders wurde positiv gesehen. Ich habe keine ernsthafte Meldung bekommen, man soll das nicht mehr aufwärmen, das sei doch alles vorbei. Das war nicht der Fall. Es wird vielleicht so sein, wie der Chefredakteur der „Dolomiten“ geschrieben hat: Wenn ein Einzelschicksal so plastisch erzählt wird, wirkt das mehr als bloße Zahlen und Fakten. […]

Es ist wichtig, dass man das Unrecht auch benennt. Wenn man sich vorstellt, wie es diesen Kindern ergangen ist, das ist unglaublich. Das muss man den Leuten erzählen. Das glaubt ja keiner. Das war ein unglaubliches Unrecht.

Schulze, Dietmar: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 157f.

Quelle

Familienforschung kann emotional aufwühlend sein

Petra Bergler-Fischer kam zwar ihrer Urgroßmutter Josefa Bühler ein Stück näher, stieß aber anfänglich auf wenig Verständnis in ihrer Familie und an emotionale Grenzen:

Was mich ganz arg aufwühlt, wenn meine Mama erzählt, dass ihre Mutter so darunter gelitten hat, dass die eigene Mutter geisteskrank war. Das geht in die nächste und übernächste Generation weiter. Ich bin 1960 in Augsburg geboren und auch dort aufgewachsen. Wir haben im Gymnasium das „Dritte Reich“ durchgenommen, den Zweiten Weltkrieg. [...] 

Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Kriegswirren daran schuld waren, dass meine Großmutter im Waisenhaus war. […] Ich habe das nie hinterfragt. Und ich mache mir deswegen auch Vorwürfe, weil ich mich nie dafür interessiert habe. Nachdem ich die Wahrheit erfahren habe, habe ich viel gelesen, habe die ganzen Links im Internet nachverfolgt. Das ist furchtbar. Ich habe überall hingeschrieben, ob es noch irgendwelche Unterlagen gibt. Aber sie haben alle keine Akten mehr. Bis zu 300.000 Menschen sind ermordet worden. [...]

Die Recherche braucht viel Zeit. Meine Familie schaut mich auch schon immer so an. Meine Kinder waren verstört. Und am Anfang war viel Ablehnung da, nach dem Motto: Was machst du da? Die Frau ist doch schon längst tot. Der Schwiegersohn hat die Unterlagen gesehen. Meine Tochter hat erzählt, dass er sie gefragt hat, ob wir „eine Irre“ in der Familie haben. Da war ich schon verletzt. Ich habe es ihm auch gesagt. Das kann nicht ironisch oder lustig genannt werden. Sondern das ist einfach nur furchtbar und tragisch. Ich mache mir gar keine Gedanken wegen einer Erbkrankheit. Ich weiß doch, dass das alles Humbug war. […]

Schulze, Dietmar: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021, S. 162f.

Das "Erbgesundheitsgesetz" nach 1945

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Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit von den Alliierten Besatzungsmächten in ihren Besatzungszonen aufgehoben und Zwangssterilisationen wurden 1945 verboten. Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte hingegen wurden lange Zeit nicht angezweifelt. Noch 1957 vertrat die Bundesregierung die Position, das Erbgesundheitsgesetz sei "kein typisch nationalsozialistisches Gesetz" gewesen, mit der Begründung, dass in jener Zeit eugenische Zwangssterilisierungsgesetzgebung auch in anderen westlichen Staaten verabschiedet wurde. Nach einer formellen Ächtung des "Erbgesundheitsgesetzes" 1988 wurde dieses erst 2007 durch Beschluss des Bundestages nichtig. Bis zu einem Bundesverfassungsgerichtsurteil im Jahr 2011 war Sterilisation im Transsexuellengesetz vorgeschrieben. Außerhalb Deutschlands wurden und werden Zwangssterilisationen weiterhin gegen diskriminierte Minderheiten angewandt, und die Aufarbeitung beispielsweise in Tschechien verläuft schleppend.

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Der Lange Weg zur Ächtung

1945/46Verbot von Zwangssterilisationen, Aufhebung des GzVeN und Beibehaltung einzelner mit dem GG vereinbarer "Restbestimmungen"
1961-1965Aufgrund einer geheim tagenden Anhörung von "Experten" durch den Wiedergutmachungsausschuss werden die Entschädigungsforderungen für Zwangssterilisierte abgelehnt
1974Aufhebung der "Restbestimmungen"
1980Erste Möglichkeit zur Entschädigung: Einmalzahlung von 5.000 DM
1988Der Bundestag erlässt eine erstmalige formale Ächtung des Erbgesundheitsgesetzes. Härtefallrichtlinien ermöglichen laufende Beihilfe
1990erEinzelne Erbgesundheitsgerichtsurteile werden durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben
1998Der Bundestag hebt alle Urteile der Erbgesundheitsgerichte auf
2007Der Bundestag ächtet das Erbgesundheitsgesetz in seiner "Ausgestaltung und Anwendung" als NS-Unrecht und erklärt es somit für nichtig
2011Das Bundesverfassungsgericht erklärt im Transsexuellengesetz vorgeschriebene Sterilisationen für verfassungswidrig

"Alice Ricciardi von Platen. Medizin und Gewissen"

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Dokumentarfilm "Alice Ricciardi von Platen. Medizin und Gewissen"

2003 drehte die Medienwerkstatt Nürnberg einen knapp halbstündigen Dokumentarfilm, für den die damals noch lebende Zeitzeugin Alice Ricciardi von Platen gewonnen werden konnte. Sie erzählt, wie sie den Nürnberger Ärzteprozess erlebte und welche Folgen dies für ihr Leben hatte.

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Literaturverzeichnis

Monographien

Goschler, Constantin: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3), Göttingen 2010.

Goschler, Constantin: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945-1954), (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 34), München 1992, (Zugl.: München, LMU, Diss., 1991).

Mitscherlich, Alexander & Mielke, Fred: Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg. Abschlußbericht der von der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern entsandten Ärztekommission beim I. Amerikanischen Militärgerichtshof Nürnberg, Heidelberg 1949.

Mitscherlich, Alexander: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, (Fischer Bücherei, Bd. 332), 3. Aufl., Frankfurt am Main 1962.

Peter, Jürgen: Der Nürnberger Ärzteprozess im Spiegel seiner Aufarbeitung anhand der drei Dokumentensammlungen von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke, (Schriften aus dem Sigmund-Freud-Institut, Bd. 2), 2. Aufl., Münster 1998.

Pross, Christian: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer, Frankfurt am Main 1988.

Robertson, Michael & Ley, Astrid & Light, Edwina: The First into the Dark. The Nazi Persecution of the Disabled, Broadway, Australia 2019.

Schmacke, Norbert & Güse, Hans-Georg: Zwangssterilisiert – Verleugnet – Vergessen. Zur Geschichte der nationalsozialistischen Rassenhygiene am Beispiel Bremen, Bremen 1984.

Schulze, Dietmar: „Es wäre doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Anstalt, die Angehörigen des Patienten zu verständigen …“. Familien von „Euthanasie“-Opfern und ihr Schriftwechsel mit der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, hg. von Stefan Raueiser & Andreas Burmester, (Impulse, Bd. 18), Irsee 2021.

Topp, Sascha: Geschichte als Argument in der Nachkriegsmedizin. Formen der Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Euthanasie zwischen Politisierung und Historiographie, (Formen der Erinnerung, Bd. 53), Göttingen 2013.

Tümmers, Henning: Anerkennungskämpfe. Die Nachgeschichte der nationalsozialistischen Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik, (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. Bd. 11), Göttingen 2011, (Teilw. zugl.: Jena, Univ., Diss., 2009).

Westermann, Stefanie: Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland, (Menschen und Kulturen, Bd. 7), Köln 2010, (Zugl.: Erfurt, Univ., Diss., 2009).

Willer, Maria Anna: Nationalsozialismus auf dem Dorf. Über lokale NS-Herrschaft und ihre spätere Verdrängung, (Histoire, Bd. 214), Bielefeld 2024, (Zugl.: München, LMU, Diss., 2022).

Nachschlagewerke & Handbücher

Nachschlagewerke und Handbücher

Benz, Wolfgang & Graml, Hermann & Weiß, Hermann (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 3. Aufl., Stuttgart 1998.

Fischer, Torben & Lorenz, Matthias N. (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, (Histoire, Bd. 53), 3. Aufl., Bielefeld 2015.

Einträge in Nachschlagewerken und Handbüchern

Ayaß, Wolfgang: „»Asoziale«“, in: Benz et al. (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 3. Aufl., Stuttgart 1998, S. 377f.

Benz, Wolfgang: „Aktion T 4“, in: Ders. et al. (Hg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1998, S. 355.

Borggräfe, Henning: „Streit um »vergessene Opfer«“, in: Fischer & Lorenz (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland, 3. Aufl., Bielefeld 2015, S. 263-265.

Braun, Kathrin: „Erbgesundheitsgesetz, Ächtung und Entschädigungsdebatten“, in: Fischer & Lorenz (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland, 3. Aufl., Bielefeld 2015, S. 345-348.

Langer, Antje: „Euthanasie-Prozesse und -Debatten“, in: Fischer & Lorenz (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland, 3. Aufl., Bielefeld 2015, S. 223-225.

Aufsätze und Beiträge

Aufsätze und Beiträge

Benz, Wolfgang: „Verweigerte Erinnerung als zweite Diskriminierung der Opfer nationalsozialistischer Politik. Zur Einführung“, in: Hamm (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 15-22.

Benzler, Susanne & Perels, Joachim: „Justiz und Staatsverbrechen. Über den juristischen Umgang mit der NS-»Euthanasie«“, in: Loewy & Winter (Hg.): NS-»Euthanasie« vor Gericht, Frankfurt am Main 1996, S. 15-34.

Böhm, Boris: „Der Forschungsstand zur NS-„Euthanasie“ in Sachsen“, in: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hg.): Tödliches Mitleid. NS-„Euthanasie“ und Gegenwart, Münster 2007, S. 123-142.

Braun, Kathrin: »Ob es tatsächlich dazu kommt, ist nach wie vor offen und bleibt abzuwarten«. Der Kampf des BEZ um die Anerkennung der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten als Verfolgte des Nationalsozialismus und die Antworten der Politik“, in: Hamm (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 199-221.

Brügmann, Cord: „‚Wiedergutmachung‘ und Zwangsarbeit. Juristische Anmerkungen zur Entschädigungsdebatte“, in: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 16. Jg. (2000) H. 16 (November 2000) Zwangsarbeit, S. 177-189.

Dreßen, Willi: „NS-»Euthanasie«-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland im Wandel der Zeit“, in: Loewy& Winter (Hg.): NS-»Euthanasie« vor Gericht, Frankfurt am Main 1996, S. 35-58.

Ebbinghaus, Angelika: „Mediziner vor Gericht“, in: Henke (Hg.): Tödliche Medizin im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S. 203-224.

Eckart, Wolfgang U.: „Medizingeschichte: Der Nürnberger Ärzteprozess“, in: Deutsches Ärzteblatt, 114. Jg. (2017) H. 33-34, S. 1524f.

Evers, Lothar: „«Asoziale» NS-Verfolgte in der deutschen Wiedergutmachung“, in: Sedlaczek et al. (Hg.): «minderwertig» und «asozial», Zürich 2005, S. 179-183.

Hamm, Margret: „Zwangssterilisierte und »Euthanasie«-Geschädigte: ihre Stigmatisierung in Familie und Gesellschaft“, in: Rotzoll et al. (Hg.): Die nationalsozialistische »Euthanasie«-Aktion T4 und ihre Opfer, Paderborn 2010, S. 358-363.

Hamm, Margret: „»...davon will ich keine Erinnerung mehr haben. Das alles sitzt zu tief in mir«. Über die Arbeit des BEZ und die Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“ I“, in: Dies. Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 43-48.

Hamm, Margaret: „»Es ist grauenvoll, dass man solche Gutachten als Tatsache hinnimmt«. Über die Arbeit des BEZ und die Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“ II“, in: Dies. (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 181-198.

Hamm, Margaret: „»Wenn wir jetzt still sind, können wir einpacken«. Über die Arbeit des BEZ und die Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“ III“, in: Dies. (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 223-232.

Harms, Ingo: „Unerwünschte Forschung. Von Behinderungen bei der Untersuchung der NS-Krankenmorde“, in: Melter (Hg.): Krankenmorde im Kinderkrankenhaus »Sonnenschein« in Bethel in der NS-Zeit?, Weinheim 2020, S. 266-278.

Hohendorf, Gerrit: „Die nationalsozialistischen Krankenmorde zwischen Tabu und Argument – Was lässt sich aus der Geschichte der NS-Euthanasie für die gegenwärtige Debatte um die Sterbehilfe lernen?“, in: Westermann et al. (Hg.): NS-„Euthanasie“ und Erinnerung, Berlin 2011, S. 211-229.

Hohendorf, Gerrit: „Mitten in Deutschland. Die Vernichtung »lebensunwerten Lebens« im Deutschen Reich“, in: Osterloh et al. (Hg.): »Euthanasie«-Verbrechen im besetzten Europa, Göttingen 2022, S. 47-70.

Kaminsky, Uwe: „Eugenik und »Euthanasie« nach 1945. Historiografie und Debatten am Beispiel der Evangelischen Kirche“, in: Rotzoll et al. (Hg.): Die nationalsozialistische »Euthanasie«-Aktion T4 und ihre Opfer, Paderborn 2010, S. 375-383.

Kramer, Helmut: „»Gerichtstag halten über uns selbst«. Das Verfahren Fritz Bauers zur Beteiligung der Justiz am Anstaltsmord“, in: Loewy & Winter (Hg.): NS-»Euthanasie« vor Gericht, Frankfurt am Main 1996, S. 81-131.

Kremsner, Gertraud: „‚Behinderung‘ und ‚Asozialität‘: Zur Konstruktion einer Beziehungsgeschichte“, in: Amesberger et al. (Hg.): Kontinuitäten der Stigmatisierung von ,Asozialität', Wiesbaden 2021, S. 45-57.

Mitscherlich-Nielsen, Margarete: „Wissenschaft ohne Menschlichkeit – Medizin und Antisemitismus“, in: psychosozial, 22. Jg. (1999) H. 4 (Nr. 78), S. 21-30.

Redaktion Deutsches Ärzteblatt: „Michael von Cranach: Reformer der Psychiatrie“, in: Deutsches Ärzteblatt, 118. Jg. (2021) H. 19-20, S. 1019.

Schaefer, Hans-Christoph: „Unbewältigte Justizvergangenheit. Zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte“, in: Loewy & Winter (Hg.): NS-»Euthanasie« vor Gericht, Frankfurt am Main 1996, S. 133-144.

Scheulen, Andreas: „Von der Verfolgung zur Entschädigung. NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation in der Bundesrepublik Deutschland“, in: Hamm (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 161-176.

Staginnus, Jan: „Verfolgung von NS-Verbrechen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“, in: Melter (Hg.): Krankenmorde im Kinderkrankenhaus »Sonnenschein« in Bethel in der NS-Zeit?, Weinheim 2020, S. 279-304.

Surmann, Rolf: „Rehabilitation and Indemnification for the Victims of Forced Sterilization and “Euthanasia”. The West German Policies of “Compensation” (“Wiedergutmachung”)“, in: Roelcke et al. (Hg.): Silence, Scapegoats, Self-reflection, Göttingen 2014, S. 113-127.

Weindling, Paul: „Entschädigung der Sterilisierungs- und „Euthanasie“-Opfer nach 1945?“, in: Henke (Hg.): Tödliche Medizin im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S. 247-258.

Westermann, Stefanie: „»Ein Mensch, der keine Würde mehr hat, bedeutet auf dieser Welt nichts mehr«. Zwangssterilisierte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland“, Hamm (Hg.): Ausgegrenzt? Warum!, Berlin 2017, S. 23-40.

Wierling, Dorothee: „Scham und Lebenswille. Zwangssterilisierung und „Euthanasie“ in autobiographischen Erzählungen“, in: Hamm (Hg.): Ausgegrenzt! Warum?, Berlin 2017, S. 55-138.

Sammelwerke und Tagungsbände

Amesberger, Helga et al. (Hg.): Kontinuitäten der Stigmatisierung von ,Asozialität'. Perspektiven Gesellschaftskritischer Politischer Bildung, (Citizenship. Studien Zur Politischen Bildung), Wiesbaden 2021.

Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hg.): Tödliches Mitleid. NS-„Euthanasie“ und Gegenwart, Fachtagung vom 24. bis 26. November 2006 im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden, (Berichte des Arbeitskreises, Bd. 4), Münster 2007.

Hamm, Margret (Hg.): Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-„Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2017.

Henke, Klaus-Dietmar (Hg.): Tödliche Medizin im Nationalsozialismus. Von der Rassenhygiene zum Massenmord, (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 7), Göttingen 2008.

Loewy, Hanno & Winter, Bettina (Hg.): NS-»Euthanasie« vor Gericht. Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung, Tagung der Arbeitsstelle Fritz Bauer Institut und der Gedenkstätte Hadamar am 10. Dezember 1994 im Literaturhaus, Frankfurt am Main, (Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 1), Frankfurt am Main 1996.

Melter, Claus (Hg.): Krankenmorde im Kinderkrankenhaus »Sonnenschein« in Bethel in der NS-Zeit? Forschungen zu Sozialer Arbeit, Medizin und »Euthanasie«, Weinheim 2020.

Osterloh, Jörg & Schulte, Jan Erik & Steinbacher, Sybille (Hg.): »Euthanasie«-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmords, (Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 6), Göttingen 2022.

Roelcke, Volker et al. (Hg.): Silence, Scapegoats, Self-reflection. The Shadow of Nazi Medical Crimes on Medicine and Bioethics, (Formen der Erinnerung, Bd. 59), Göttingen 2014.

Rotzoll, Maike et al. (Hg.): Die Nationalsozialistische »Euthanasie«-Aktion T4 und ihre Opfer. Geschichte und ethische Konsequenzen für die Gegenwart, Paderborn 2010.

Schwoch, Rebecca (Hg.): Umgang mit der Geschichte der NS-»Euthanasie« und Zwangssterilisation. Forschen – Lernen – Gedenken, Tagung des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen »Euthanasie« und Zwangssterilisation vom 10. bis 12. Juni 2022 in Hamburg, (Berichte des Arbeitskreises, Bd. 13), Köln 2023.

Sedlaczek, Dietmar et al. (Hg.): «minderwertig» und «asozial». Stationen der Verfolgung gesellschaftlicher Außenseiter, Zürich 2005.

Westermann, Stefanie et al. (Hg.): NS-„Euthanasie“ und Erinnerung. Vergangenheitsaufarbeitung - Gedenkformen - Betroffenenperspektiven, (Medizin und Nationalsozialismus, Bd. 3), Berlin 2011.

Internetdokumente

Internetdokumente

Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten: „Rehabilitation von „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten“, euthanasiegeschaedigte-zwangssteriliserte.de, letzte Aktualisierung: 16.12.2016; URL: https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/themen/rehabilitation/ (zuletzt geprüft: 30.05.2025).

Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten: „Entschädigung von »Euthanasie«-Geschädigten und Zwangssterilisierten, euthanasiegeschaedigte-zwangssteriliserte.de, letzte Aktualisierung: 30.3.2023; URL: https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/themen/entschaedigung/ (zuletzt geprüft: 30.05.2025).

Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten: „Erinnern und Gedenken an die Opfer von Euthanasie und Zwangssterilisierung“, euthanasiegeschaedigte-zwangssteriliserte.de, letzte Aktualisierung: 17.10.2024; URL: https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/themen/erinnerungspolitik/ (zuletzt geprüft: 30.05.2025).

Kasparek, Kathrin: „NS-"Euthanasie"“, in: Historisches Lexikon Bayerns, 24.01.2025; URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/NS-"Euthanasie" (zuletzt geprüft: 26.08.2025).

Siegler, Bernd (Regie): Alice Ricciardi von Platen. Medizin und Gewissen, Dokumentarfilm, Medienwerkstatt, Nürnberg 2003, www.medienwerkstatt-franken.de; URL: https://www.medienwerkstatt-franken.de/video/alice-ricciardi-von-platen (zuletzt geprüft: 26.08.2025).

United States Holocaust Memorial Museum: „The Hadamar Trial“, in: Holocaust Encyclopedia, encyclopedia.ushmm.org; URL: https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/the-hadamar-trial (zuletzt geprüft: 26.08.2025).

United States Holocaust Memorial Museum: „The Doctors Trial: The Medical Case of the Subsequent Nuremberg Proceedings“, in: Holocaust Encyclopedia, encyclopedia.ushmm.org; URL: https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/the-doctors-trial-the-medical-case-of-the-subsequent-nuremberg-proceedings (zuletzt geprüft: 26.08.2025).

Autor: Florian Genath