Friedrich Goller

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Friedrich Goller

Lebenslauf

Heimleiter, Leiter der Jugendabteilung, Betriebsleiter, Direktor von HerzogsĂ€gmĂŒhle

Lebensdaten:

  • Geboren 10.4.1907
  • Gestorben 23.8.1964

Herkunft und Ausbildung:

Friedrich Goller wuchs in WĂŒrtingen (WĂŒrttemberg) als Sohn einer streng christlichen Bauernfamilie mit fĂŒnf Kindern auf. Nach einer Schreinerlehre und einer Ausbildung in der Krankenpflege besuchte er von 1928 bis 1935 die Diakonenschule in Ludwigsburg. WĂ€hrend dieser Zeit passte sich die Ausbildung zunehmend der NS-Ideologie an – Rassenhygiene und Antidemokratismus wurden Teil des Lehrplans. Nach einer kurzen TĂ€tigkeit als Stadtmissionar in Heidelberg ĂŒbernahm Goller gemeinsam mit seiner Frau eine Hauselternstelle bei der Inneren Mission MĂŒnchen. In einem Bericht betonte er die schwierige Herkunft vieler Jugendlicher und forderte eine stĂ€rkere Einbindung der Familien. Dabei griff er bereits auf nationalsozialistische Begriffe wie „Volk“ zurĂŒck. 

Karriere im Dienst der ZwangsfĂŒrsorge:

Friedrich Goller kam Ende 1939 ĂŒber die Innere Mission MĂŒnchen in Kontakt mit Alarich Seidler, dem Vorsitzenden des Landesverbands fĂŒr Wander- und Heimatdienst (LVW). Seidler bot ihm die Leitung des sog. 'FĂŒrsorgeheims' Indersdorf an – einer Einrichtung, die im Sinne der nationalsozialistischen FĂŒrsorgepolitik arbeitete. Menschen galten dort als „gemeinschaftsgefĂ€hrdend“, wenn sie als sozial oder erblich „minderwertig“ eingestuft wurden.

Ab 1940 leitete Goller Indersdorf, ab 1941 die Jugendabteilung in HerzogsĂ€gmĂŒhle und ab 1942 zusĂ€tzlich den dortigen Wanderhof. Diese Einrichtungen kooperierten eng mit Polizei, Justiz und Psychiatrie. In HerzogsĂ€gmĂŒhle wurden zwischen 1936 und 1945 rund 4800 bis 5000 Menschen untergebracht, im gesamten LVW-Komplex ĂŒber 12.000.

Zeitzeugenberichte schildern den Alltag in den Anstalten als geprĂ€gt von Gewalt, Zwangsarbeit, sexuellen Übergriffen und militĂ€rischer Disziplinierung. Die Anstalten arbeiteten mit einem strengen Überwachungssystem – wer sich nicht anpasste, wurde als „unheilbar“ oder „gemeinschaftsschĂ€dlich“ aussortiert. Goller ĂŒbernahm diese Ideologie und beteiligte sich aktiv an Überstellungen in Heilanstalten, Konzentrationslager und an Zwangssterilisationen.

Sein Vorgesetzter Seidler formulierte 1942 eine Denkschrift zur „BekĂ€mpfung gemeinschaftsfremder Jugendlicher“, deren Umsetzung Goller mit „Treue und Gewissenhaftigkeit“ ausfĂŒhren sollte. Die Praxis dieser Politik lĂ€sst sich an konkreten FĂ€llen wie Ernst Lossa, Franz-Xaver Bremm und Wilhelm Franklin belegen, deren Lebenswege durch Entscheidungen Gollers schwer geschĂ€digt oder beendet wurden.

Verbrechen:

Friedrich Gollers Beteiligung an NS-Verbrechen lÀsst sich anhand mehrerer EinzelfÀlle nachweisen:

  • Der Jugendliche Ernst Lossa wurde 1942 auf Gollers Vorschlag aus der 'FĂŒrsorge' entlassen und in die 'Heil- und Pflegeanstalt' Kaufbeuren-Irsee ĂŒberstellt, wo er 1944 ermordet wurde. Goller bezeichnete ihn zuvor als „abartig“ und „asozial“ – eine EinschĂ€tzung, die die Überstellung rechtfertigen sollte, obwohl Goller ĂŒber die Tötungen in den Anstalten informiert war.
  • Franz Xaver Bremm, ein pflegebedĂŒrftiger Mann, wurde 1943 ebenfalls auf Initiative Gollers in eine geschlossene Anstalt ĂŒberwiesen, wo er unter schlechter Versorgung litt und 1944 verstarb. Seine wiederholten Bitten um Entlassung blieben unbeantwortet.
  • Wilhelm Franklin wurde 1942 trotz VolljĂ€hrigkeit und vorheriger KZ-Haft in die Jugendabteilung HerzogsĂ€gmĂŒhle eingewiesen und dort zwangssterilisiert. Auch nach Kriegsende hielt Goller an seiner EinschĂ€tzung fest, Franklin sei „gemeingefĂ€hrlich“ und nicht lebensfĂ€hig. Erst 1948 kam Franklin frei.

Diese FĂ€lle belegen Gollers aktive Rolle bei Aussonderung, Verfolgung und Mitwirkung an Verbrechen im Rahmen der NS-'FĂŒrsorgepolitik'.

Nachkriegszeit und Aufarbeitung:

Nach 1945 wurde Friedrich Goller Direktor von HerzogsĂ€gmĂŒhle unter der Inneren Mission MĂŒnchen. Im Spruchkammerverfahren wurde er lediglich als „MitlĂ€ufer“ eingestuft. Seine rassenhygienisch geprĂ€gten Ansichten behielt er bei: Noch 1957 forderte er gesetzliche Maßnahmen zur Zwangsunterbringung sogenannter „Nichtseßhafter“.

Goller stellte die Einrichtung spĂ€ter als Opfer des Nationalsozialismus dar, verschwieg aber seine eigene Rolle sowie das Leid der Betroffenen. Erst in den 1990er Jahren wurde seine Mitverantwortung öffentlich thematisiert – etwa durch ein Zitat, in dem er KZ-Einweisungen von Heiminsassen rechtfertigte.

2020 erkannte der Bundestag das Unrecht an den Opfern der 'FĂŒrsorgeeinrichtungen' offiziell an. Eine Initiative forderte daraufhin die Umbenennung des nach Goller benannten Hauses in HerzogsĂ€gmĂŒhle. Seit 2022 trĂ€gt es den neutralen Namen „Ringstraße 6“. Eine klare Benennung seiner TĂ€terschaft blieb aus.

Karriere im Dienst der ZwangsfĂŒrsorge

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Jugenderziehungsheim Indersdorf 1938

Ende 1939 wurde Friedrich Goller ĂŒber die Innere Mission MĂŒnchen mit Alarich Seidler, dem Vorsitzenden des Landesverbands fĂŒr Wander- und Heimatdienst (LVW), bekannt. Seidler berief ihn zum Leiter des Jugenderziehungsheims Indersdorf. Diese und weitere Einrichtungen des LVW dienten der Umsetzung nationalsozialistischer 'FĂŒrsorgepolitik', die Zwangsmaßnahmen gegen als „erblich“ oder „sozial minderwertig“ eingestufte Menschen rechtfertigte.

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Friedrich Gollers Dienstausweis nach seinem Dienstantritt in Indersdorf.

Ab 1940 leitete Goller Indersdorf, ab 1941 baute er die Jugendabteilung in HerzogsĂ€gmĂŒhle mit auf und war ab 1942 zusĂ€tzlich Betriebsleiter des dortigen Wanderhofs. Die Einrichtungen arbeiteten eng mit Polizei, Justiz und Psychiatrie zusammen und waren in das NS-Repressionssystem eingebunden. Insgesamt waren im LVW-Verbund mindestens 12.000 Personen untergebracht, in HerzogsĂ€gmĂŒhle allein rund 4.800 bis 5.000.

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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"UK-Karte": Friedrich Goller musste nicht als Soldat in den Zweiten Weltkrieg ziehen. Siehe Zeile 16: "BegrĂŒndung: Unersetzbar, da alle Erzieher und Lehrer beim Heeresdient." In Zeile 12 steht: "ungedient". Goller hatte also keine Wehrdienstausbildung.

Über alltĂ€gliche Unrechtserfahrungen im Jugenderziehungsheim Indersdorf und in der Jugendabteilung HerzogsĂ€gmĂŒhle sind Zeitzeugenberichte von Zöglingen bekannt. Darin beschreiben ehemalige Heimkinder einen Alltag, der sich von anderen Erziehungsanstalten nicht unterschied: Strafen, SchlĂ€ge, Arbeit, sexuelle Übergriffe, Personalnot, Einstimmung auf den Krieg. 

Goller vertrat in seiner Funktion als Leiter der Jugendabteilungen und als Betriebsleiter in HerzogsĂ€gmĂŒhle die völkisch-rassenhygienisch begrĂŒndete ideologischen Kategorisierung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen als „sozial und erbbiologisch minderwertig“. Diese Zuschreibungen waren meist ausschlaggebend fĂŒr die Selektionen der Betroffenen in Konzentrationslager, Heil- und Pflegeanstalten oder fĂŒr die Anzeigen fĂŒr Zwangssterilisationen. Friedrich Goller war zudem selbst an den AntrĂ€gen zu einzelnen Überstellungen beteiligt.

Damit setzte Friedrich Goller die Aufgaben des LWV, in seinem Verantwortungsbereich um. Diese umfassten die „Trennung der gemeinschaftsfĂ€higen von den gemeinschaftsunfĂ€higen Menschen“ durch „Auslese von Schwachsinnigen oder sonst wie ErbgeschĂ€digten“, wie auch das Konzept der fĂŒrsorglichen „Bewahrung“ fĂŒr "ArbeitsbeschrĂ€nkte", "Arbeitsscheue" und "GemeinschaftsschĂ€dliche". 

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Quelle

VerschĂ€rfung der Regeln fĂŒr die Jugendabteilung im Jahr 1942

Die Regeln fĂŒr die Jugendabteilungen des LVW wurden im Jahr 1942 nochmals verschĂ€rft. Das ging auf Alarich Seidler zurĂŒck. Dieser verfasste dafĂŒr eine Denkschrift: als Vorgesetzter die „Denkschrift ĂŒber die Notwendigkeit einer reichsgesetzlichen Regelung der Behandlung von Gemeinschaftsentfremdeten, Erziehung zur Arbeit von GefĂ€hrdeten und Bewahrung von Gemeinschaftsentfremdeten. Zusammenarbeit von Polizei und FĂŒrsorge im Kampfe gegen die fortschreitende GefĂ€hrdung von Jugendlichen“ vom 23.2.1942. Seidler forderte von Friedrich Goller „eingehende Durchsicht“. Er solle mit aller „Treue, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt allen Schwierigkeiten zum Trotz“ die „dargelegten Zielsetzungen nach innen und außen“ verfolgen.

Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Quelle

Aus der Hausordnung der Jugendabteilung von HerzigsĂ€gmĂŒhle wĂ€hrend der NS-Zeit

  • „Die Beurteilung Deiner Haltung und Deiner Leistung in Dienst und Freizeit erfolgt in dauernder Überwachung [...]." 
  • „Wer gegen unsere Erziehungs- und Ausbildungsarbeit steht, muß aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen werden.“ 

Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Aufgabe (Basis)

Wie wird man Teil eines verbrecherischen Systems?

Friedrich Goller leitete eine FĂŒrsorge- und Jugendeinrichtung. Was er tat, war keineswegs besonders kriegswichtig. Trotzdem war er "unabkömmlich" und musste nicht in den Krieg ziehen. 

  1. Stellen Sie Vermutungen ĂŒbers Gollers Einstellung gegenĂŒber dem Nationalsozialismus nach seiner "UK-Stellung" an. 
  2. Welche Haltung wird Goller gegenĂŒber den verschĂ€rften Verhaltensregeln (Quellen in den Elementen 5 und 6) eingenommen haben?
  3. Nach dem Krieg galt Goller als "MitlÀufer". 
    1. Recherchieren Sie zu den Inhalten dieses Begriffs in sog. Entnazifizierungsverfahren. Nutzen Sie dazu zum Beispiel die Informationen hier.
    2. Beurteilen Sie, was dafĂŒr und was dagegen spricht, Goller als MitlĂ€ufer zu bezeichnen.

Verbrechen

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Dass Friedrich Goller an schwersten Verbrechen beteiligt war, steht außer Frage. DafĂŒr stehen gerade u.a. die Gutachten ĂŒber Jungendliche und andere Insassen der LVW-Anstalten, in denen er die Verantwortung trug. DafĂŒr stehen die Schicksale des 12-jĂ€hrigen Jungen Ernst Lossa (Kinderhaus Indersdorf), des Mitte-50-jĂ€hrigen Wanderhof-Insassen Franz-Xaver Bremm (Wanderhof HerzogsĂ€gmĂŒhle) und des 12-jĂ€hrigen Wilhelm Franklin (Jugendabteilung HerzogsĂ€gmĂŒhle).

Ernst Lossa

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Insassenakte Ernst Lossa, Indersdorf, Landeskirchliche Archiv NĂŒrnberg (LkAN) 3214.

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Ernst Lossa (ca. 1940)

Der Jugendliche Ernst Lossa (geb. 1.11.1929), 'FĂŒrsorgezögling' in Indersdorf, wurde auf Vorschlag von Goller als damaligen Leiter der Anstalt, aus der 'FĂŒrsorgeerziehung' ausgesteuert und in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren Irsee ĂŒberstellt. Er wurde dort am 9.8.1944 ermordet. Entscheidend war die Beurteilung von Friedrich Goller am 9.3.1942 an die einweisende Behörde, in der ihn als "abartiges Kind" bezeichnete. Goller wusste zu diesem Zeitpunkt nachweislich ĂŒber das Morden in den Heil- und Pfleganstalten, auch in den Kinderfachabteilungen. Das geht aus seinem Personalakt hervor, in dem ein GesprĂ€ch Gollers ein Jahr vor Überstellung von Ernst Lossa, im Februar 1941, mit dem Jugendamtmann Sonderer dokumentiert ist, in dem die Maßnahmen thematisiert wurden.

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Urheber: Autor/-in unbekannt, U.S. Army staff photographer - H.E.A.R.T. Holocaust Education & Archive Research Team; United States Holocaust Memorial

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Die sogenannte Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren im Jahr 1945

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Quelle

Friedrich Goller in einem Gutachten ĂŒber Ernst Lossa

„Es handelt sich bei Ernst Lossa um ein selten stark abartiges [
] Kind. Lossa ist fĂŒr die Gruppengemeinschaft ein so großer Hemmschuh [
]. Wie schon erwĂ€hnt, kann es nicht mehr verantwortet werden, dass eine geordnete Erziehungsarbeit einer ganzen Gruppe unter einem solch stark abartigen und asozialen Jungen leidet, bei dem kein Erziehungserfolg zu erwarten ist. Heil Hitler.“

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Quelle

Ernst Lossa aus der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuern an Friedrich Goller (29.4.1942)

Das letzte Lebenszeichen von Ernst Lossa in seiner Akte ist ein Brief von ihm an Friedrich Goller, geschrieben kurz nach der Ankunft in Kaufbeuren am 29.4.1942. Lossa wurde in der Anstalt mit einer Todesspritze umgebracht:

„Lieber Herr Goller. Nun will ich Ihnen ein paar Zeilen schreiben. Mir geht es sehr gut. Hoffentlich Ihnen auch. [
] Mir gefĂ€llt es sehr gut in Kaufbeuren. Lieber Herr Goller, bitte sagen sie die FrĂ€ulein Friedl einen schönen Gruß von Lossa Ernst. Und GrĂŒĂŸe an den Heinrich und an das ganze Heim. Nun will ich schließen fĂŒr heute. Lossa Ernst“.

Xaver Bremm

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Personenakte Franz-Xaver Bremm, LKAN 11981 und 3174, Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle-

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Franz Xaver Bremm (ca. 1940)

Auch die Überstellung von Franz Xaver Bremm (geb. 4.8.1887) in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar am 28. Januar 1943 ging zurĂŒck auf die Initiative von Friedrich Goller in seiner Funktion als Betriebsleiter im November 1942. Bremm wurde wie alle MĂ€nner, die nur beschrĂ€nkt arbeitsfĂ€hig waren, in HerzogsĂ€gmĂŒhle systematisch vernachlĂ€ssigt. Das hieß, dass er nur sehr eingeschrĂ€nkt mit Nahrung und Pflege versorgt wurde. Auch aufgrund der repressiven AtmosphĂ€re lĂ€sst sich nachweisen, wie schnell die MĂ€nner aufgrund dieser Mangelversorgung physisch wie psychisch verfielen. In Bremms Akte sind Bitt- und Hilfsgesuche von ihm um Entlassung an die Wanderhofleitung, und damit auch an Friedrich Goller, an den einweisenden Landrat und seine Schwester erhalten. Franz Xaver Bremm starb am 1. MĂ€rz 1944 in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing Haar unter bislang ungeklĂ€rten UmstĂ€nden.

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Quelle

Friedrich Goller ĂŒber Xaver Bremm (1942)

Er schrieb an den Landrat von Schongau: „Bei Bremm handelt es sich um einen in steigendem Maße pflegebedĂŒrftigen Mann, der aufgrund seines Verhaltens nicht mehr lĂ€nger in der Gemeinschaft unseres Heimathofes möglich ist und deshalb in eine geschlossene Anstalt ĂŒberwiesen werden soll.“

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Quelle

Xaver Bremm aus der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing Haar an seine Schwester ĂŒber sein Leiden

„Liebe Schwester, wenn ich jetzt nicht hinauskomm, wo die Arbeit da ist dann lasst ihr mich in Gottes Namen absterben, denn ich bin schon noch am Leben ich bin noch nicht gestorben. [
] Mit Gruß Heil Hitler.“

Wilhelm Franklin

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Zu dem Unrecht gegen Wilhelm Franklin trug Friedrich Goller sowohl in seiner Funktion als Leiter der Jugendabteilung vor 1945, wie auch als Direktor von HerzogsĂ€gmĂŒhle nach 1945 bei. Der junge Mann (geb. 18.11.1920) wurde, obwohl er bereits volljĂ€hrig war, im Mai 1942 vom Jugendkonzentrationslager Moringen zur „PlanmĂ€ĂŸigen polizeilichen Überwachung“ in die 'FĂŒrsorgeabteilung' nach HerzogsĂ€gmĂŒhle ĂŒberstellt. WĂ€hrend seines Aufenthaltes wurde er im Krankenhaus Kempten einer Zwangssterilisation unterzogen. Trotz der Befreiung vom NS-Regime und der damit nicht mehr geltenden „PlanmĂ€ĂŸigen polizeilichen Überwachung“ als polizeiliche Maßnahme im Rahmen der sogenannten „Vorbeugenden VerbrechensbekĂ€mpfung“ der Kriminalpolizei entließ ihn Friedrich Goller nicht. Goller wusste auch, dass der Jugendliche vor dem Jugendkonzentrationslager auch 9 Monate Konzentrationslagerhaft erlitten hatte. Erst drei Jahre nach Kriegsende, im Jahr 1948, gelang es Wilhelm Franklin, aufgrund von Eingaben in Freiheit entlasse zu werden.

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Quelle

Beurteilung Friedrich Gollers ĂŒber Wilhelm Franklin (1942)

In seinem Gutachten ĂŒber den Jungen Wilhelm Franklin vom 24. Oktober 1942 schrieb Goller: 
„In seiner Gesamthaltung hat Franklin den Eindruck eines minderbegabten haltschwachen Menschen gemacht, der aufgrund seiner charakteriologischen Abartigkeit vorsichtig zu behandeln ist. In Folge seiner ZurĂŒckhaltung, die als großes Misstrauen gegenĂŒber seiner Umwelt erscheint, ist er einer Beeinflussung schwer zugĂ€nglich. BedĂŒrfnislos, wie er ist, wird er sich im freien Leben nie halten können, da er nicht in der Lage sein wird, sich durchsetzen zu können. Außerdem erscheint er als vermindert zurechnungsfĂ€hig, auch im gewissen Sinne gemeingefĂ€hrlich. Ein lĂ€ngerer Anstaltsaufenthalt ist jedenfalls geboten.“

Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Quelle

Wilhelm Franklin an Friedrich Goller nach seiner Entlassung aus HerzogsĂ€gmĂŒhle im Jahr 1949

In seinem Brief vom 22. Februar 1949 an Friedrich Goller widerlegte Wilhelm Franklin dessen Beurteilung ĂŒber ihn, wonach er an "Schwachsinn" leide und daher nie im Arbeitsleben eine Stelle finden werde.
„Sehr geehrter Herr Direktor! [
] Habe mich auf meiner Stelle bereits eingelebt. [
] Besondere Freude macht es ab und zu im Kreise meiner Angehörigen zu weilen. Jetzt fĂ€ngt das Leben erst wieder an.“

Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Aufgabe (Basis)

Partnerarbeit

  1. Untersuchen Sie in Partnerarbeit eines der dargestellten Opfer (Ernst Lossa, Xaver Bremm oder Wilhelm Franklin).
    Lesen Sie dazu jeweils alle Darstellungstexte und Quellen.
  2. Schildern Sie in einem knappen Vortrag die Biografie des Opfers und arbeiten Sie den Anteil Friedrich Gollers an dessen Schicksal heraus.

Halten Sie Ihre Überlegungen auf dem Miro-Board fest.

Nachkriegszeit und (fehlende) Aufarbeitung

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Anerkannte Persönlichkeit? Gesellschaftliche bestens vernetzt? Ging fĂŒr Friedrich Goller nach 1945 alles so weiter? Das Bild zeigt Friedrich Goller bei einem Treffen mit Offizieren der US-Armee vor dem "Friedenshort" in HerzogsĂ€gmĂŒhle.

Im Leben Friedrich Gollers nach 1945 hat man den frappierenden Eindruck, dass es einfach so weiterging. Seine Karriere ging weiter und er reflektierte auch sein Handeln in der Zeit des Nationalsozialismus nicht.
Goller wurde nach der Befreiung von der Inneren Mission MĂŒnchen zum Direktor von HerzogsĂ€gmĂŒhle bestellt. Wie alle Mitglieder der NSDAP musste er sich auch einem Verfahren der Spruchkammer unterziehen. Er wurde als „MitlĂ€ufer“ (Gruppe IV) eingestuft, eingestuft und zu einer SĂŒhneleistung von 200 Reichsmark plus der Kosten des Verfahrens von 135 RM verurteilt. 

Die KontinuitĂ€ten der rassenhygienischen Sicht auf die Jugendlichen und Erwachsenen in der Nachkriegszeit in HerzogsĂ€gmĂŒhle und dem Festhalten an ein „Bewahrungskonzept“ in der 'FĂŒrsorge' finden sich vielfach in Aussagen und Texten von Friedrich Goller, die er als Leiter der Einrichtung vertrat bzw. verfasste. 

Zur Frage, wer Opfer und wer TĂ€ter im Nationalsozialismus gewesen sein, vertrat Goller eine Position, die alle Verantwortung fĂŒr die Verbrechen von sich und dem System des Wanderhofs wegschob. Mit einer atemberaubenden Dreistigkeit erklĂ€rte er, der Wanderhof sei „Opfer des nationalsozialistischen Regimes“ gewesen. Angeblich sei der Wanderhof unter Zwang dem Landesverband fĂŒr Wander- und Heimatdienst unterstellt worden. Diese Behauptung ist nachweislich falsch, diente aber dazu, seine eigenen und die Handlungen der anderen Verantwortlichen sowie das Leid der Insassen auszublenden.

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Quelle

"nicht lĂ€nger tragbar" – Friedrich Goller im Jahr 1948 ĂŒber die Einweisungen von Wanderhof-Insassen ins KZ Dachau

„Auch mir ist bekannt, daß vier Personen als ehemalige Betreute der HerzogsĂ€gmĂŒhle ins KZ eingewiesen worden sind. Es handelt sich keineswegs um Einweisungen, denen politische BeweggrĂŒnde zugrunde lagen, sondern die Einweisung wurde notwendig, nachdem die vier durch ihr unruhestiftendes Verhalten im Betrieb nicht lĂ€nger tragbar gewesen sind. Sie kommen also als typisch asoziale Menschen an den Ort, der als letzter bezeichnet werden muß, der in Deutschland seinerzeit fĂŒr Menschen vom Schlage jener Typen bestand. Zu beachten ist lediglich die Form, mit der die Einweisung ins KZ erfolgte. Der gesamte Betrieb, Angestellte und Betreute waren angetreten und in Gegenwart all dieser Personen wurden durch die SS die bewußten vier Betreute zur Einweisung ins KZ abgeholt."

Aussage Friedrich Goller vor der Spruchkammer, Hauptkammer Weilheim, Sitzgruppe Schongau, Verfahren gegen Hans Lehner, 2.12.1948, Staatsarchiv MĂŒnchen, Spk K4704, s.a. Eberle. HerzogsĂ€gmĂŒhle, 1994, S. 105-106, Fußnote 109.

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Quelle

"autoritĂ€rer und mit mehr Zwang anzufassen": Friedrich Goller ĂŒber den Umgang mit Nichtseßhaften in der Bundesrepublik (1975)

„Die NichtseßhaftenfĂŒrsorge kann nach dem Stand der gegenwĂ€rtigen Gesetzgebung nur teilweise sinnvoll betrieben werden; es fehlt uns eine gesetzliche Handhabe, einen gewissen Prozentsatz der Nichtseßhaften etwas autoritĂ€rer und mit mehr Zwang anzufassen; es fehlt ein Bewahrungsgesetz. [
] Unter den Wanderern gibt es verschiedene Gruppen. So z.B. die geistig Defekten, unter denen sich ein Großteil Schwachsinniger befindet. [ 
] Dieser Personenkreis scheint stĂ€ndig im Wachsen begriffen zu sein.“

Oberregierungsrat Breitinger, Bayerisches Staatsministerium des Innern, 25.04.1957, FĂŒrsorge fĂŒr Nichtseßhafte. Niederschrift ĂŒber die Besprechung am 17.4.1957 im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle.

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Aufgabe (Basis)

Wie beurteilt man das Leben von Friedrich Goller?

  1. Beantworten Sie die in der Bildunterschrift des Bildes in Element 18 gestellte Frage.
    Beziehern Sie dabei die Materialien in den Elementen 18 bis 20 ein.
  2. Diskutieren Sie Ihre Antwort in einer Gruppendiskussion, deren Ergebnisse Sie im Miro-Board festhalten.

Halten Sie Ihre Überlegungen auf dem Miro-Board fest.

Erweiterung

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

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Interview mit Friedrich Goller in der Sondernummer der "BlĂ€tter fĂŒr Innere Mission in Bayern" 1953 ĂŒber sein Leben und seine Arbeit (erste Seite)

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Archiv Diakonie HerzogsĂ€gmĂŒhle

ArrcBYSA

Interview mit Friedrich Goller in der Sondernummer der "BlĂ€tter fĂŒr Innere Mission in Bayern" 1953 ĂŒber sein Leben und seine Arbeit (zweite Seite)

Das Interview Friedrich Goller wurde nach 1945 gefĂŒhrt. Es zeigt ihn in einer ganz neuen Perspektive.

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Aufgabe (Vertiefung)

Beschreiben Sie, auf welche Weise Friedrich Goller in dem Beitrag der BlĂ€tter fĂŒr Innere Mission dargestellt wird. Gehen Sie dafĂŒr auf die erzeugte Stimmung und tragenden Begriffe ein.