Akademiker – Handelshochschule Mannheim – Jahre als Kaufmann in Mailand – Sprachen, Internationalität, ein geregeltes Leben. Ein Mann, der Bildung genossen hat und lange Zeit selbstbestimmt arbeitete. Doch 1940 verweigert er die Arbeit in den Hermann-Göring-Werken – ein Schritt, der ihn in den Augen des NS-Staates zum „Asozialen“ machte. Von da an bestimmte nicht mehr er selbst über sein Leben, sondern Akten, Diagnosen und Verlegungen von Anstalt zu Anstalt. Aber was konnte mit einem Mann wie Wilhelm Blaas im Regime des Nationalsozialisten geschehen?
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Wilhelm Blaas (Fabienne Eckardt)
Aufgabe (Basis)
Ihr ganzes Leben passt in eine Mappe. In dieser Mappe befinden sich keine Fotos, keine Stimme. Nur Fremdurteile von Ă„rzten oder anderen Ihnen fremden Menschen. Menschen, die Sie nicht mögen und die Ihnen nichts Gutes wollen.Â
Beschreiben Sie Ihre Gedanken und GefĂĽhle in wenigen Worten:
- Wie würden Sie sich fühlen, wenn der Nachwelt von Ihnen nur so eine Akte übrig bleibt?
Ein Leben aus der Sicht seiner Mörder: Wilhelm Blaas
Ein vielversprechendes Leben nimmt eine radikale Wendung
Das Leben von Wilhelm Blaas
Ein vielversprechendes Leben nimmt eine radikale Wendung
Das Leben von Wilhelm Blaas
Wilhelm Blaas wurde 1896 in Bozen geboren. Er wuchs in Südtirol auf und besuchte das Gymnasium. Nach dem Ersten Weltkrieg begann er ein Studium an der Handelshochschule in Mannheim, wo er sich zum Kaufmann ausbildete. Mit dieser Ausbildung ging er nach Italien und arbeitete viele Jahre in Mailand als kaufmännischer Angestellter. Dort führte er ein geregeltes, bürgerliches Leben: sprachlich gebildet, international tätig, angesehen.
Die politischen Umstände der NS-Zeit zogen ihn jedoch in den Strudel der Verfolgung. Im Sommer 1940 musste er in den Hermann-Göring-Werken in Linz arbeiten. Er verweigerte die Arbeit – ob aus Krankheit, Überforderung oder aus eigenem Widerstand, bleibt offen. Diese Weigerung wurde ihm zum Verhängnis: Er wurde für zwei Monate inhaftiert und nach seiner Rückkehr in München am 20. September 1940 auf dem Arbeitsamt verhaftet. Von diesem Zeitpunkt an galt er in den Augen der Behörden als „arbeitsscheu“ und „asozial“.
Am 1. Oktober 1940 wurde er in die Anstalt Herzogsägmühle eingewiesen. Dort musste er einen Lebenslauf schreiben, in dem er betonte: „Vorstrafen habe ich keine.“ Doch die Ärzte stellten andere Akteneinträge aus: „asozial, arbeitsscheu“. Seine eigene Darstellung spielte keine Rolle. Im Februar 1941 rutschte er auf Eis aus und brach sich den Arm. Selbst dieser Unfall wurde zum Beleg für einen angeblichen „geistigen Defektzustand“.
Die folgenden Monate verschlechterte sich seine Lage drastisch. Im Mai 1941 wurde er in die Psychiatrische Klinik München überstellt. Dort erhielt er Elektroschock-Behandlungen und eine Tuberkulose-Diagnose. Im September 1941 wurde er nach Eglfing-Haar verlegt – eine große Heil- und Pflegeanstalt bei München, die zu einem Zentrum der sogenannten „dezentralen Euthanasie“ geworden war. Anders als in den Tötungsanstalten mit Gaskammern bedeutete „Euthanasie“ hier ein langsames Sterben: gezielte Hungerkost, mangelnde medizinische Versorgung, Sterbestationen.
Auch Wilhelm war diesem System ausgeliefert. Seine Gewichtstabellen zeigen das ganze Grauen: von ursprünglich 71 Kilo fiel er innerhalb weniger Monate auf 44 Kilo bei einer Körpergröße von 1,71 Metern. Am 16. November 1941 starb er in Eglfing-Haar. In den Akten wurde „Tuberkulose“ als Todesursache eingetragen – tatsächlich war es das Ergebnis von Hunger, Entkräftung und systematischer Vernachlässigung.
Nach 1945 sprach niemand über Wilhelm Blaas. Täter setzten ihre Karrieren fort, während sein Schicksal jahrzehntelang unbeachtet blieb. Heute erinnern die Akten an ihn – und zeigen, wie ein gebildeter Mann, ein Akademiker mit internationalem Leben, durch ein System aus Stigmatisierung und Gewalt in wenigen Monaten zu Tode gebracht wurde.
Blaas' einschneidendste Stationen bis zum Tod
Im Sommer 1940 kam Wilhelm Blaas in den Hermann-Göring-Werken in Linz zum Einsatz. Ob dies auf freiwilliger Basis oder als Zwangsmaßnahme geschah, ist in den Akten nicht eindeutig dokumentiert. Fest steht, dass er die ihm zugewiesene Arbeit verweigerte. Diese Verweigerung führte zu einer zweimonatigen Haftstrafe. Nach seiner Entlassung kehrte Blaas nach München zurück, wo er am 20. September 1940 beim Arbeitsamt verhaftet wurde. Wenige Tage später erfolgte seine Einweisung in die Fürsorgeanstalt Herzogsägmühle. Dieser Vorgang zeigt exemplarisch, wie stark die nationalsozialistische Arbeits- und Fürsorgepolitik auf „Disziplinierung“ ausgerichtet war: Arbeitsverweigerung, selbst von einem ausgebildeten und erfahrenen Akademiker, wurde unmittelbar als gesellschaftliche Devianz eingestuft und kriminalisiert. Für die NS-Bürokratie war nicht entscheidend, ob gesundheitliche Gründe, Überforderung oder persönlicher Widerstand die Ursache waren. Der Akt des „Nicht-Mitmachens“ reichte aus, um jemanden dauerhaft zu stigmatisieren und in den Kreis der „Asozialen“ zu rücken.
Am 1. Oktober 1940 wurde Wilhelm Blaas in die Anstalt Herzogsägmühle eingewiesen. Neuankömmlinge mussten hier regelmäßig einen handschriftlichen Lebenslauf verfassen. Blaas notierte darin nüchtern seine Bildungs- und Berufsbiografie – Gymnasium, Studium an der Handelshochschule Mannheim, Tätigkeit als Korrespondent in Mailand – und fügte ausdrücklich den Satz hinzu: „Vorstrafen habe ich keine.“ Diese Selbstdarstellung steht im scharfen Kontrast zu den Einschätzungen der Anstaltsärzte. Bereits kurz nach seiner Aufnahme bescheinigten sie ihm einen schlechten Ernährungs- und Kräftezustand und bewerteten ihn als nur eingeschränkt arbeitsfähig. Nach einem Unfall im Februar 1941, bei dem er auf Glatteis ausrutschte und sich den Arm brach, wurde er von Ärzten nicht nur körperlich, sondern auch psychiatrisch untersucht. Sie diagnostizierten einen „geistigen Defektzustand“ und äußerten den Verdacht auf Schizophrenie. Damit war der Weg vorgezeichnet: Aus einem Akademiker, der seine Unbescholtenheit betonte, wurde in ärztlichen Gutachten ein „schizophrener Asozialer“. Solche Zuschreibungen zeigen, wie willkürlich medizinische Fachsprache im NS-Staat zur Stigmatisierung und Entrechtung genutzt wurde. In der Systematik der Rekonstruktion biographischer Verfolgungswege lässt sich hier exemplarisch nachvollziehen, wie schnell ein einmal gestelltes Etikett den weiteren Verlauf bestimmte – unabhängig von den tatsächlichen Lebensumständen.
Nach seiner Zeit in der Herzogsägmühle wurde Blaas im Mai 1941 in die Psychiatrische Klinik München verlegt. Dort fällt in den Akten eine besonders aufschlussreiche Beobachtung auf: Er sprach teilweise gar nicht mit den Ärzten, verhielt sich zurückgezogen und misstrauisch. In der psychiatrischen Logik der NS-Zeit galt ein solches Verhalten nicht als Folge von Verzweiflung oder traumatischer Umstände, sondern wurde unmittelbar pathologisiert. Die Ärzte deuteten sein Schweigen und sein abweisendes Auftreten als Symptome einer „Schizophrenie“ und rechtfertigten damit weitere Zwangsmaßnahmen, unter anderem Elektroschockbehandlungen. Dieser Abschnitt seiner Verfolgung zeigt exemplarisch, wie jedes Verhalten – selbst Schweigen oder Rückzug – in das gewünschte Krankheitsbild eingeordnet wurde und so den Weg in die nächste Station des Vernichtungsprozesses bereitete.
Nach Zwischenstationen in der Psychiatrischen Klinik München wurde Wilhelm Blaas am 25. September 1941 in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar überstellt. Diese Anstalt war seit Beginn des Krieges ein zentraler Ort der sogenannten „dezentralen Euthanasie“. Anders als in den Vernichtungsanstalten mit Gaskammern geschah die Tötung hier durch systematische Vernachlässigung und Nahrungsentzug. Patienten wurden mit reduzierter „Hungerkost“ unterversorgt, medizinisch nicht behandelt und ihrem Siechtum überlassen. Blaas’ Krankenakte dokumentiert diesen Prozess erschreckend deutlich: Sein Gewicht sank von 71 auf nur noch 44 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,71 Metern. Am 16. Dezember 1941 starb er im Alter von 45 Jahren. Als offizielle Todesursache wurde eine „Lungen- und Rippenfelltuberkulose“ eingetragen – eine typische Aktennotiz, die das eigentliche Sterben durch Hunger und Vernachlässigung verschleiern sollte. In der Rekonstruktion solcher Biografien zeigt sich die perfide Logik des Systems: Die bürokratische Verwaltung ermöglichte es, den Tod als medizinisch „natürlich“ darzustellen, obwohl er das kalkulierte Ergebnis einer politischen Entscheidung war.
Alle Informationen ĂĽber Wilhelm Blaas stammen aus der Akte der Nationalsozialen.
Alle Informationen über Wilhelm Blaas stammen aus der Akte der Nationalsozialen.
Alle Informationen ĂĽber Wilhelm Blaas stammen aus der Akte der Nationalsozialen.
Alle Informationen ĂĽber Wilhelm Blaas stammen aus der Akte der Nationalsozialen.
Aufgabe (Basis)
Wilhelm Blaas sprach teilweise gar nicht mit den Ă„rzten, verhielt sich zurĂĽckgezogen und misstrauisch. Halten Sie Ihre Gedanken dazu fest:Â
- Woher könnte sein Verhalten gegenĂĽber den Nationalsozialisten kommen?Â
Urteile zum körperlichen und psychischem Zustand von Blaas aus dem Befund des Anstaltarztes in Herzogsägmühle: "arbeitsunfähig" und "geistiger Defektzustand"
Urteile zum körperlichen und psychischem Zustand von Blaas aus dem Befund des Anstaltarztes in Herzogsägmühle: "arbeitsunfähig" und "geistiger Defektzustand"
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Im Großteil der Dokumente über Blaas ging es um Kosten und Zuständigkeiten. In diesem Dokument sticht eine Wertung hervor: "unmöglichen Verhaltens"
Im Großteil der Dokumente über Blaas ging es um Kosten und Zuständigkeiten. In diesem Dokument sticht eine Wertung hervor: "unmöglichen Verhaltens"
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Hier bitte wie bei Maria Spitzauer die Transkription zum "ĂĽber das Bild ziehen" einbauen:
Ich bin geboren am 10. Dez. 1896 zu Bozen in SĂĽdtirol,
besuchte dann das dortige Gymnasium,
nahm dann in der Monarchie am Weltkriege teil.
Nach Beendigung desselben und des Studiums an der Badischen Handelshochschule in Mannheim am Rhein
ward ich als deutscher Korrespondent in Mailand.
Mein Vater Johann war in Amerika, dann Landwirt und starb 1919 nach dem Kriege
(Bruder Ludwig ist Forstpraktikant).
Vorstrafen habe ich keine.
Wilhelm Blaas
Quelle: Aus der Akte der Nationalsozialen ĂĽber Wilhelm Blaas.
Über Wilhelm Blaas existieren fast ausschließlich Fremdurteile. Einen eigenen, kleinen Auszug über sein Leben beschreibt er im genannten Lebenslauf bei Ankunft in Herzogsägmühle.
TIPP: Die Transkription lässt sich von oben nach unten über den Originaltext ziehen.
Das Ende
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Dokument Aus der Akte der Nationalsozialisten: In Totenliste vermerkt.
Wilhelm Blaas stirbt am 16.12.1941, wenige Tage nach seinem 45. Geburtstag. Vermutlich verhungert.
Ordnen Sie Wilhelm Blaas' Stationen im Leben seinen dortigen Erfahrungen zu.
TIPP: Die richtig zugeordneten Paare verschwinden.
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Alle Informationen von Wilhelm Blaas stammen aus den Akten der Nationalsozialen. Aus didaktischen Gründen wurden diese in die Ich-Perspektive umformuliert.
Interaktive Aufgabe erstellt mit https://learningapps.org/creat...
Wer war er, der Mensch Wilhelm Blaas?
Beschreibung ĂĽber Wilhelm Blaas' Aussehen
Beschreibung ĂĽber Wilhelm Blaas' Aussehen
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Aufgabe (Basis)
Sie haben nun Wilhelm Blaas kennengelernt. Die Akten der Nationalsozialisten sind nur Puzzleteile, mit denen sich, wenn man sie zusammensetzt, der Mensch Wilhelm Blaas vermuten lässt. Für die Nationalsozialisten war er ein "Asozialer". Heute kennen wir sein Gesicht nicht. Notieren Sie einige Worte oder beschreiben Sie ein Detail, das Ihnen wichtig erscheint:
- Wie stellen Sie sich den Menschen Wilhelm Blaas vor?Â
Wir haben OpenAI's ChatGPT die Beschreibung der Nationalsozialisten über Wilhelm Blaas' Aussehen gegeben und gefragt, wie er ausgesehen haben könnte. Hier sehen Sie die Antwort:
TIPP: FĂĽgen Sie die Puzzleteile zusammen.
Bitte das Bild von Blaas als Puzzle-Element zum zusammenfĂĽgen gestalten. (Bild unten)
Error
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ChatGPT von OpenAI.Â
Interaktive Aufgabe erstellt mit https://learningapps.org/creat...
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Das Bild zu Punkt 12.
Aufgabe (Vertiefung)
Wir wissen nur von Fremdbeschreibungen etwas über Wilhelm Blaas' Leben. Schreiben Sie einen Tagebucheintrag, der auf einer seiner Stationen im Nazi-Regime verfasst wurde und gehen Sie dabei auf folgende Sachen ein:
- Wie fĂĽhle ich mich, wenn ich ĂĽber meine Familie nachdenke?
- Wie fĂĽhle ich mich, wenn ich ĂĽber die Zeit vor der Inhaftierung nachdenke?
- Wie fĂĽhle ich mich gerade?
- Wie fühle ich mich, wenn ich an meine Zukunft denke?